SPD Jüchen: „Talk auf dem Roten Sofa“ mit Wolfgang Norf Bürokratie und geringeres Angebot erschweren die Arbeit der Tafel

Jüchen · Jede Menge Herzblut, eine soziale Ader und viel Organisationstalent: Das sind drei Voraussetzungen für die wichtige Arbeit der „Tafeln“. Wie die Lebensmittelausgabe an Menschen in Not und mit wenig Geld in Jüchen funktioniert und welche Aufgaben damit verbunden sind, darüber berichtete Wolfgang Norf beim „Talk auf dem Roten Sofa“ der SPD Jüchen.

Wolfgang Norf (Mitte) mit den beiden SPD-Ortsvereinsvorsitzenden Anna Strohbach und Norbert John.

Foto: SPD Jüchen/Birgit John

Der Vorsitzende des Vereins Existenzhilfe verantwortet und organisiert mit rund 100 Mitstreitern die Tafeln in Grevenbroich und Jüchen – im launigen Gespräch plauderte er auf dem Roten Sofa über die fordernde Vereinsarbeit und gab auch Ansichten zu Privatem und Politischem preis.

„Die Armut wird weiter zunehmen. Ich bin der Überzeugung, dass wir in Deutschland dahin steuern werden, dass es genau wie in Amerika nur noch zwei Klassen gibt, und zwar Arm und Reich. Der Mittelstand wird irgendwann verschwinden“, ist Wolfgang Norf für die gesellschaftliche Entwicklung hierzulande eher pessimistisch, wobei er vor allem eine Gruppe im Blick hat: „Was mir sehr, sehr viel Sorgen macht, ist die steigende Altersarmut. Und die wird jetzt nicht abrupt aufhören, sondern sie wird steigen – und da muss man eigentlich entgegenwirken.“

Ältere Menschen mit sehr knappem Budget kommen laut Wolfgang Norf „aus Stolz und Scham“ eher selten zur Tafel, obwohl sie durchaus Anspruch auf günstige Lebensmittel hätten. „Aber diese Menschen wollen oftmals einfach nicht zu uns.“ Dabei fänden sie ebenso wie die aktuell rund 1.400 Kunden bei den Tafeln in Grevenbroich und Jüchen ein breites und attraktives Angebot.

Für einen Euro Gebühr und mit dem obligatorischen Berechtigungsausweis steht Woche für Woche ein breites Sortiment bereit – von Frischeprodukten über Milch und Käse, Obst und Gemüse bis hin zu haltbaren Lebensmitteln. Auch eine große Kleiderkammer öffnet in Grevenbroich während der Öffnungszeiten ihre Türen. In Etappen werden die Kunden immer dienstags und freitags zu den Ausgabezeiten von 14 bis 17 Uhr empfangen: in Jüchen in Räumen an der Rektor-Thoma-Straße 9, die der Existenzhilfe von der Stadt mietfrei zur Verfügung gestellt werden.

Die Waren, die für den Müll bestimmt, aber noch gut und genießbar sind, stammen von rund 120 Supermärkten und Händlern in der Region. In Grevenbroich, Jüchen und Rommerskirchen fahren die Mitarbeitenden jeden Tag mit vier Fahrzeugen raus und holen in festen Routen Lebensmittel ab. Ein Knackpunkt dabei sind die Fahrzeugbesatzungen: „Wir suchen eigentlich immer dringend Fahrer und Beifahrer, die für uns ein paar Stunden übrig haben. Und jede Stunde hilft“, legt Wolfgang Norf den Finger in eine Wunde.

Noch mehr Sorgen bereitet dem Vereinsvorsitzenden die überbordende Bürokratie: „Man verwaltet sich zu Tode, sei es fürs Finanzamt, für den Bundesverband, fürs Jobcenter oder andere Stellen. Im Augenblick besteht mein Arbeitsalltag bei der Tafel aus 30 bis 40 Wochenstunden Papier von links nach rechts stapeln, knicken, lochen, abheften und irgendwelche Berichterstattungen und Berichte verfassen sowie Rede und Antwort stehen für Organisationen, für Ämter und so weiter. Das ist sehr unbefriedigend. Also ich möchte lieber wieder an die Front zurück.“

Denn die eigentliche Arbeit findet Wolfgang Norf ebenso wichtig wie persönlich befriedigend: „Wirtschaft und die Arbeit in Konzernen sind große Themen in meinem Leben gewesen, aber da wollte ich ja raus und ich wollte mit Menschen arbeiten. Deshalb haben wir mit sieben Personen vor rund 20 Jahren den Verein gegründet.“

Sehr zufrieden ist der 68-Jährige nicht nur mit dem enormen Engagement der rund 100 Ehrenamtlichen der Existenzhilfe, sondern auch mit dem Umfeld: „Mit dem Verein in Grevenbroich und Jüchen stehen wir ganz gut da. Wir werden sehr tatkräftig unterstützt, von der Wirtschaft ebenso wie von der lokalen Politik und, wenn auch eingeschränkt, vom Land.“

Allerdings sind die Perspektiven der Tafeln nicht ungetrübt: „Die Kapazitäten sind irgendwann erschöpft, weil die Spanne zwischen der Bedürftigkeit unserer Kunden und dem Zufluss an Lebensmitteln durch den Einzelhandel immer weiter auseinandergeht. Wir bekommen immer mehr Kunden, aber immer weniger Lebensmittel. Das hängt auch damit zusammen, dass die Lebensmittelpreise in den letzten Jahren enorm angezogen haben und die Lebensmittelhändler ihren Einkauf ganz anders gestalten.“ Deshalb ist die Existenzhilfe mehr denn je auf Beistand angewiesen – durch fördernde Mitglieder ebenso wie durch tatkräftige Ehrenamtler.

Für den kurzweiligen Abend war Wolfgang Norf der Dank der beiden moderierenden SPD-Ortsvereinsvorsitzenden Anna Strohbach und Norbert John ebenso gewiss wie der Gäste im gut besuchten „Roten Salon“. Dieser wird am Dienstag, 21. Januar, Schauplatz des ersten öffentlichen Auftritts des kürzlich nominierten SPD-Bürgermeisterkandidaten Philipp Sieben, der sich um 19 Uhr beim nächsten „Talk auf dem Roten Sofa“ den Fragen stellen wird.