„Ton und Tusche – Der Japanische Weg“ Gegen die Zeit
Sinsteden · „Wenn wir nicht lernen, unsere Kultur wahrzunehmen, dann geht die europäische Kultur langsam verloren.“ Ein Satz mit viel Gewicht, den Dr. Kathrin Wappenschmidt als Leiterin des Kreis-Kulturzentrums in Sinsteden, da in den Raum stellt. Und sie fügt an: „Unsere Gäste haben verlernt hinzusehen.“
Viele Besucher würden sie fragen: „Was haben Sie zu bieten?“. Und es entspreche dem Mainstream, dass jeder erwarte, unterhalten zu werden. „Auch Museen nehmen das Hinsehen den Gästen oft ab“, moniert Dr. Kathrin Wappenschmidt. Das „Drumherum der pädagogischen Aufarbeitung“ sei oft wichtiger als das Präsentierte. „Das ruhige Hingucken bleibt dabei auf der Strecke.“
In diesem Sinne „gegen die Zeit“ sind im Kreis-Kulturzentrum in Sinsteden die Dauerausstellung in der Rückriem-Halle und die aktuelle, bis September laufende Ausstellung „Ton und Tusche – Der Japanische Weg“. In beiden gehe es um die selbe Strategie: „Die Gäste sollen sich Zeit nehmen und das Gesehene hinterfragen“, lädt sie ein.
Viel Zeit nimmt sich übrigens auch Künstler und Schriftsteller Christoph Peters: Jede Teeschale zeichnet er aus vier Perspektiven. Dabei setzt er Tuschepunkte, die seinen Arbeiten grafische Qualität verleihen. Und er beginnt damit, dass er sich die Schale in aller Ruhe anschaut. „Ich zeichne, was ich sehe“, betont er. Peters investiert in jede Teeschale (sehen und viermal malen) 50 Stunden künstlerische Arbeit. „Das ist der Versuch, etwas zu begreifen, was ich nicht begreifen kann. Und mutmaßlich begreife ich das nie.“
Im Jahre 2019 war Christoph Peters in Japan, lernte die dortigen Tee-Zeremonien kennen und stieß im Kyoto-Museum auf eine Ausstellung mit Tuschezeichnungen von alten Meistern aus dem 16. bis 20. Jahrhundert, die Teeschalen gemalt hatten. Ur-Formen wurden dabei immer wieder „abgemalt“ und in winzigen Detailpunkten variiert. Zeit-lose, zeit-vergessene Kunst in vielerlei Hinsicht.
Die Faszination seiner Sammlung, die in der Folge in Keramik und auf Papier entstand, ist nicht die aus europäischer Sicht angestrebte Perfektion der Gegenstände, sondern die über Jahrhunderte beibehaltene Kultivierung der Unvollkommenheit. „Vor allem diese Stücke waren es, vor denen ich viele Stunden verbracht hatte, kopfschüttelnd, verwirrt und ohne auch nur im Ansatz zu verstehen, wie Menschen im 16. Jahrhundert dazu gekommen waren, etwas derart allen bis dahin geltenden ästhetischen Vorgaben Zuwiderlaufendes herzustellen“, sagt Christoph Peters.
Um sich zu erklären, greift er gar auf den Zen-Buddhismus zurück: Alles, was ist, ist leer, sage dieser aus. Eine Teeschale sei auch nichts Anderes „als umformte Leere“. Und die hohe Kunst der alten Meister sei es gewesen, das richtige Maß an Leere zu finden ...
Es liegt wohl auf der Hand, dass man diese Werke nicht „im Vorbeigehen“ aufnehmen kann. Museumsleiterin Dr. Kathrin Wappenschmidt lächelt: „Am liebsten würde ich alle Besucher für mindestens eine Stunde in den Ausstellungsräumen einschließen und sie so zur intensiven Auseinandersetzung zwingen.“ Für eine korrekte Tee-Zeremonie würde die Zeit dann allerdings immer noch reichen …