Ess-Störungen, Coming-Out, Depression und Sucht: Ein offenes Ohr für alle Themen In Schulen geht es längst nicht mehr nur ums Einmaleins und um Vokabeln

Grevenbroich · Nicht erst seit Corona stehen die Schulen vor ganz neuen Herausforderungen: Die Kids verbringen dort inzwischen den größten Teil des Tages. Während die einen Eltern kaum noch die Zeit oder die Möglichkeit haben, ihre Kinder wirklich zu begleiten, stehen auf der anderen Seite „Helikopter-“ oder „Rasenmäher“-Eltern die ihrem Nachwuchs die Chance nehmen, selbstständig zu werden. Hinzukommen Themen wie Ess-Störungen, Coming-Out, Sucht und Abhängigkeit, Aggression und Depression.

Das Führungs-Trio (von links): Christine Hesse (Psychologin), Gudrun Mertens-Döhling (Schulsozialarbeiterin) und Sharmily Nathan (Berufs- und Studien-Orientierung)

Das Führungs-Trio (von links): Christine Hesse (Psychologin), Gudrun Mertens-Döhling (Schulsozialarbeiterin) und Sharmily Nathan (Berufs- und Studien-Orientierung)

Foto: KV/Gerhard P. Müller

Jens Schieck, Deutsch-Lehrer am Pascal-Gymnasium, bringt es auf den Punkt, wenn er von einem „veränderten Menschenbild“, von einer „veränderten Bedeutung von Schule“ und von einem „näheren Verhältnis“ spricht, dass sich zwischen Schüler und Lehrer zwangsläufig ergibt.
„Schule ist Lebensraum“, fasst Christine Hesse zusammen. Sie ist Psychologin und kommt alle zwei Wochen einen Tag lang ins Pascal-Gymnasium. Schulleiter Gerhard Bodewein erinnert zudem daran, was alles in den Jahren, in denen die Kinder das Gymnasium besuchen, passiere: Von der Pubertät und den damit verbundenen kirchlichen Festen bis hin zum erwachsen und selbstständig werden.

Nicht einfache Jahre, nicht einfache Zeiten. Das Pascal-Gymnasium antwortet darauf mit einer „Personen zentrierten Beratung“. Und für die wurde in den Herbstferien eigens ein Raum (direkt neben der Aula) hergerichtet, der am „Tag der offenen Tür“ (heute in einer Woche) offiziell als „Beratungszentrum“ in Betrieb genommen werden soll. Dieses Zentrum basiert auf drei Säulen: Neben der Personen zentrierten Beratung, in der es um die kleinen und großen Probleme in Schule, Alltag und Leben geht, stehen das „Lern-Coaching“ sowie die Studien- und Berufsberatung.

Wichtig: In allen drei Bereichen können sich Schüler wie Eltern aussprechen. Zudem ist das „Beratungszentrum“ als niederschwelliges und kurzfristiges Hilfsangebot immer geöffnet und immer mit Fachpersonal besetzt.

Letzteres ist nur möglich, weil sich eine ganze Reihe von Lehrern zur Verfügung gestellt, eine gezielte Schulung absolviert und Beratungszeit (zusätzlich zur Unterrichts- und Vorbereitungszeit) übernommen hat. „Das gehört doch zum Beruf des Lehrers dazu“, begründet Jens Schieck. Und der Schulleiter ergänzt: „Mein Ziel ist es doch, meine Schüler besser zu verstehen.“ Der Benefit liege klar auf der Hand – auch für diejenigen Schüler, die keiner Beratung bedürfen.

Sie alle haben sich für die „Personen zentrierte Beratung“ am Pascal-Gymasnium zur Verfügung gestellt und ausbilden lassen. Im neuen „Beratungszentrum“ stehen sie für Schüler und Eltern bereit.

Sie alle haben sich für die „Personen zentrierte Beratung“ am Pascal-Gymasnium zur Verfügung gestellt und ausbilden lassen. Im neuen „Beratungszentrum“ stehen sie für Schüler und Eltern bereit.

Foto: KV/Gerhard P. Müller

Der Ablauf ist denkbar einfach: Das „Beratungszentrum“ steht immer allen offen. Erstgespräche sind jederzeit möglich; die „Beratungs-Typen“, die man dort antreffen kann, sind vielfältig (Mann, Frau, jung, alt, locker oder väterlich).

Die Schülerin, die sich fragt, ob die Freundin unter Ess-Störungen leidet. Die Gruppe, die einen Schulhof-Konflikt nicht lösen kann. Die Mutter, die das Verhalten des Sohnes absolut nicht versteht. Der Jugendliche, der mit seiner Sexualität und seinen Gefühlen hadert. Sie alle finden ein offenes Ohr, aber auch absolute Verschwiegenheit und bei deutlich werdenden tiefer liegenden Problemen den Weg zur Profi-Hilfe.

Da in dem Raum neben der Aula drei Beratungsschienen abgedeckt werden, muss keiner Scheu haben, durch die Tür zu gehen. Ob er oder sie Berufsberatung, lernorganisatorische Hilfen oder eben Unterstützung in schwierigen Lebenslagen sucht, wird nach außen eben nicht deutlich.

Gudrun Mertens-Döhling (die Sozialarbeiterin ist am Pascal-Gymnasium angestellt, das extra dafür auf eine Lehrerstelle verzichtet hat) ist ganz wichtig: „Wir begleiten nur, wir geben keine Ratschläge.“ Es ginge eben nicht darum, etwas besser zu wissen, sondern darum, das Gegenüber wertzuschätzen.

Einig sind sich alle Beteiligten darüber, dass sich nicht nur die Bedeutung von Schule geändert, dass sich nicht nur deren Einbindung in den Alltag und in die Alltagsprobleme verstärkt hat.

Zum Glück habe sich auch die Einstellung gegenüber „Beratung“ verändert. Die werde inzwischen gerne in Anspruch genommen, was sich an den vielen Gesprächen zeige, die am Pascal-Gymnasium auch schon vor der offiziellen „Beratungszentrum“ geführt worden seien.

(Gerhard P. Müller)