„Wohnungsbau ist das Bohren dicker Bretter“ Wohnungsnot trifft auf Neubauflaute

Jüchen · Wer derzeit in Jüchen eine Wohnung zur Miete sucht oder zur Vermietung anbietet, weiß es: Wohnungen sind heiß begehrte Mangelware. Auf eine freie Wohnung kommen in aller Regelmäßigkeit Hunderte Bewerber. Das hat einen offensichtlichen Grund: Es fehlt an Wohnraum in der Region.

 Von links: Notarin Irene Kämper, Bürgermeister Harald Zillikens, Michael Kirchner, Geschäftsführender Gesellschafter der Firma Pyramis, und  Benjamin Josephs (für den Rhein-Kreis Neuss) bei der Unterzeichung des Gründungsvertrages für die Genossenschaft Jüchener Wohnen eG Anfang 2023.

Von links: Notarin Irene Kämper, Bürgermeister Harald Zillikens, Michael Kirchner, Geschäftsführender Gesellschafter der Firma Pyramis, und Benjamin Josephs (für den Rhein-Kreis Neuss) bei der Unterzeichung des Gründungsvertrages für die Genossenschaft Jüchener Wohnen eG Anfang 2023.

Foto: Stadt Jüchen

„Bis 2028 braucht der Rhein-Kreis Neuss den Neubau von rund 1.900 Wohnungen – und zwar pro Jahr“, so lautet die Wohnungsbau-Prognose für die kommenden vier Jahre, die das Pestel-Institut in einer aktuellen Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt ermittelt hat. „Der Neubau ist notwendig, um das bestehende Defizit abzubauen: Aber auch, um abgewohnte Wohnungen in alten Häusern nach und nach zu ersetzen. Hier geht es insbesondere um Nachkriegsbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht mehr lohnt“, sagt Matthias Günther vom Pestel-Institut.

Da die Analyse nur den Kreis in seiner Gesamtheit untersucht hat, hat der Top-Kurier im Jüchener Rathaus nachgefragt. Dort heißt es: „Anhand einer Wohnungsbedarfsanalyse wurde ermittelt, wie hoch der voraussichtliche Wohnraumbedarf ist, beziehungsweise sich dieser in den kommenden Jahren entwickeln wird. Nach der Fortschreibung der durchgeführten Wohnraumanalyse fehlen in Jüchen im Zeitraum 2019 bis 2039 1.170 Wohnungen (97 Eigentumswohnungen, 669 Einfamilienhäuser, 83 bis 283 frei finanzierte Mehrfamilienhäuser, 120 bis 320 öffentlich geförderte Mehrfamilienhäuser).“

Das Ziel ist also klar – es muss viel mehr neu gebaut werden. Doch ist das überhaupt zu schaffen? Matthias Günther vom Pestel-Institut spricht von einem „lahmenden Wohnungsneubau, dem mehr und mehr die Luft ausgeht“. Im gesamten Rhein-Kreis gab es in den ersten fünf Monaten dieses Jahres nach Angaben des Instituts lediglich für 314 neue Wohnungen eine Baugenehmigung. Zum Vergleich: In 2023 waren es im gleichen Zeitraum immerhin noch 498 Baugenehmigungen. Aus der Stadtverwaltung heißt es zu der Anzahl der genehmigten Bauanträge- und Nutzungsänderungen, dass darin ebenfalls etwa genehmigungspflichtige Gartenhäuser, Pooldächer aber auch Terrassenüberdachungen enthalten seien.

 Es wird immer teurer und damit schwieriger, neue Wohnungen zu bauen. Der Baustoff-Fachhandel warnt: „Einfacher bauen. Sonst baut bald keiner mehr“, so Verbandspräsidentin Katharina Metzger.

Es wird immer teurer und damit schwieriger, neue Wohnungen zu bauen. Der Baustoff-Fachhandel warnt: „Einfacher bauen. Sonst baut bald keiner mehr“, so Verbandspräsidentin Katharina Metzger.

Foto: Tobias Seifert

„Dies lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die Anzahl der errichteten Wohnungen zu. Aber es lässt sich sicherlich besonders in den letzten drei Jahren ein Trend ableiten.“ Und da sah es aus wie folgt: 2024 gab es bisher 16 Baugenehmigungen (Stand: 31. August), 2023 waren es 71, 2022 noch 122 ausgestellte Baugenehmigungen und Änderungsanträge. Der aktuelle Zensus registriert für den Kreis rund 5.850 Wohnungen, die nicht genutzt werden – rund 2,6 Prozent vom gesamten Wohnungsbestand. Ein Großteil davon – nämlich gut 2.580 Wohnungen – stehe jedoch schon seit einem Jahr oder länger leer, viele davon sind sanierungsbedürftig.

Laut Günther hielten sich viele Hauseigentümer sich mit einer Sanierung zurück: „In ihren Augen ist eine Sanierung oft auch ein Wagnis. Sie sind verunsichert. Sie wissen nicht, welche Vorschriften – zum Beispiel bei Klimaschutz-Auflagen – wann kommen. Es fehlt einfach die politische Verlässlichkeit. Ein Hin und Her wie beim Heizungsgesetz darf es nicht mehr geben“, kritisiert der Leiter des Pestel-Instituts. In der Jüchener Stadtverwaltung werden keine Statistiken über leerstehende oder sanierungsbedürftige Objekte geführt.

Das Pestel-Institut hat die Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt im Auftrag des „Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel“ (BDB) durchgeführt. Für dessen Präsidentin Katharina Metzger macht die Untersuchung eines deutlich: „Der Wohnungsbau ist auch im Rhein-Kreis Neuss das Bohren dicker Bretter.“ Um voranzukommen fordert Metzger, die Baustandards zu senken: „Einfacher bauen – und damit günstiger bauen. Das geht, ohne dass der Wohnkomfort darunter leidet. Andernfalls baut bald keiner mehr.“ Es müsse ein „starkes Abspecken“ bei Normen und Auflagen geben – im Bund, bei den Ländern und Kommunen.

Derweil hat die Stadt Jüchen in den vergangenen Jahren verschiedene kleine Baugebiete entwickelt. „Darüber hinaus hat die Stadt eine Genossenschaft gegründet. Als erstes Projekt werden elf Wohnungen in Hochneukirch auf der Holzer Straße errichtet. Das Genossenschaftswesen hat sich seit langer Zeit als Modell für die Schaffung von preisgünstigem und bezahlbarem Wohnraum etabliert“, heißt es aus dem Rathaus. Und weiter: „Die Genossenschaft verfolgt keine Gewinnerzielungsabsicht und dient damit im Wesentlichen der Daseinsvorsorge. Als nächsten großes Projekt ist die Entwicklung von Jüchen-West mit bis zu 450 Wohneinheiten geplant.“

Deutschlandweit sei der Wohnungsmarkt bei der Errichtung von Neubauten deutlich eingebrochen. Dies betreffe sowohl den Markt hinsichtlich der Einfamilienhäuser als auch die Schaffung von frei finanzierten Mehrfamilienhäusern. „Dies hängt vor allem mit den deutlich gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten zusammen“, so das Fazit aus dem Rathaus.