Apotheker Sebastian Leuffen über die Medikamenten-Knappheit „Das System nicht weiter runterdrücken“

Jüchen · Die Erkältungs- und Grippewelle hat Groß und Klein vielerorts noch im Griff. Die Nachfrage nach Paracetamol, Fiebersäften und Co. ist dementsprechend hoch. Engpässe bei Medikamenten sind derzeit keine Seltenheit. Der Top-Kurier hat bei Apotheker Sebastian Leuffen einmal nachgefragt, wie die Situation aktuell ist.

Apotheker Sebastian Leuffen und sein Team stellen zur Not bestimmte Medikamente selber her.

Foto: Kurier Verlag GmbH/Daniela Furth

„Wir haben nicht erst seit gestern Lieferprobleme. In den vergangenen Monaten gab es ganz punktuell, auch ganz chaotisch, Zeiten, wo es eine bestimmte Schilddrüsentablette nicht gab oder ein bestimmtes Insulin. Und jetzt sind mehrere Sachen zusammengekommen, dass vor allem die Kinderarzneimittel schwer zu bekommen sind“, erklärt Leuffen. Fast jedes zweite oder dritte Rezept bedürfe einer Korrektur, was sowohl für Ärzte wie auch Apotheken einen Mehraufwand bedeute. Insgesamt rund 400 Medikamenten-Posten habe es in der vergangenen Woche gegeben, die nicht lieferbar waren.

Die kaufmännischen Mitarbeiter, die neben den pharmazeutisch beratenden in der Apotheke tätig sind, seien im Prinzip wie an der Börse unterwegs und schauen, wo das gerade Benötigte bestellt werden könne. Denn Apotheken haben in der Regel zwei Bezugswege: Das eine ist eine Direktbestellung bei den einzelnen Herstellern und das andere sind die sogenannten Großhändler, wo mehrmals am Tag bestellt werden kann. Warum aktuell besonders Medikamente mit niedriger Dosierung für Kinder wenig oder gar nicht zu bekommen seien, ist schnell erklärt:

Durch die Vergütungssituation, wie sie in Deutschland ist, rechne es sich für viele Unternehmen nicht, bestimmte Medikamente herzustellen, so Leuffen. Das habe in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Produktion immer weiter ins Ausland verlagert wurde, nach Indien oder China, wo es billiger ist. Weniger Hersteller und eine erhöhte Nachfrage führen in Zeiten wie diesen dazu, dass es zu Lieferengpässen kommen kann. Obendrein spielen auch andere Faktoren eine Rolle: „Seit der Coronapandemie und auch mit den Folgen des Ukrainekriegs sind die globalen Lieferketten oft gestört. Wir haben uns sehr abhängig gemacht von Medikamentenimporten aus dem Ausland. Wir können jetzt nicht kurzfristig sagen, wir produzieren Paracetamol oder Ibuprofen oder Antibiotika für Kinder selber, weil es die Werke hier nicht mehr gibt und die Unternehmen betriebswirtschaftlich denken und sagen, das rechnet sich für uns nicht.“

Um bei akuten Fällen dennoch helfen zu können, springen manche Apotheken in die Bresche und stellen beispielsweise Paracetamolzäpfchen für Kleinkinder her. So handhabt es auch Leuffens Team, obwohl die Arbeit sehr zeitintensiv ist und nur kleine Mengen produziert werden können. Wer auf bestimmte Medikamente angewiesen ist, dem rät der Apotheker, sich frühzeitig um ein neues Rezept zu bemühen, um einen Puffer bei möglichen Lieferengpässen zu haben. Und auch wenn man sich gerne untereinander helfen möchte, rät der Apotheker von einem Medikamenten-Tausch mit anderen Personen ab. Denn man könne nie wissen, ob das Medikament richtig gelagert wurde oder für einen geeignet ist.

Um die Lage auf lange Sicht zu entspannen, hofft Leuffen – wie wohl viele im Gesundheitssektor –, dass der Sparkurs endlich ein Ende nimmt: „Man sollte überlegen, ob das der richtige Weg ist, das System immer weiter runterzudrücken.“ Nicht umsonst gebe es in Deutschland immer weniger Apotheken. „Dass es immer weniger werden und wir auch im europäischen Schnitt weit unterdurchschnittlich sind, das hat schon einen Grund“, gibt er zu bedenken, „von Politikseite sollte überlegt werden, wie man das Gesundheitssystem vernünftig aufstellen kann. Damit man solchen Problemen wie jetzt begegnen kann.“