75 Jahre Kriegsende - Clemens Schelhaas denkt nach: „Ein Leben lang trocken Brot essen, wenn nur der Krieg zu Ende ist!“

Zum Kriegsende vor 75 Jahren, der sich am gestrigen Freitag jährte, hat sich Fotograf, Weltreisender, Weinbauer und Chronist Clemens Schelhaas ganz persönliche Gedanken gemacht, die der Erft-Kurier an dieser Stelle gerne abdruckt.

Grevenbroich. „Wir haben uns daran gewöhnt. Täglich sterben hunderte Menschen, Millionen sind auf der Flucht. Die Kriege in Syrien, im Jemen, in Lybien werden inzwischen in den Medien weniger erwähnt als ein Trainerwechsel in der Bundesliga.

In Deutschland ging der Zweite Weltkrieg am 8. Mai 1945 zu Ende, also vor 75 Jahren. Wenigen ist es heute bewusst, was es heißt, in Frieden und Sicherheit zu leben. Und wir leben in einem Wohlstand, von dem sich keiner vor 75 Jahren eine Vorstellung hätte machen können.

Diese beiden Fotos aus dem Archiv des Kreises zeigen die Zeitenwende, die gestern vor genau 75 Jahren mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eingeleitet wurde: Zerstörung und Wiederaufbau in der Grevenbroicher Innenstadt.

Das Credo lautete: „Ein Leben lang nur trockenes Brot essen, wenn nur der Krieg zu Ende ist!“ Die Generation der Zeitzeugen stirbt aus, vieles geht verloren.

Es gehen Werte verloren, die damals unser Leben bestimmt haben. Es soll jedoch nichts glorifiziert werden.

Aber wir waren bescheiden geworden und konnten uns über Kleinigkeiten freuen. Selbst in den ersten Jahren nach der Währungsreform war eine Tafel Schokolade etwas Besonderes; ich bekam eine zu Weihnachten und zum Namenstag. Dankbar waren die Menschen auch, wenn zum Beispiel der Mann oder der Sohn aus dem Krieg oder der Kriegsgefangenschaft zurückkam. Gott brauchte man auch noch.

Die Jahre nach dem Kriege waren hart, besonders für die Menschen in den Städten und die Millionen Flüchtlinge. Aber man hielt zusammen, nicht benötigte Lebensmittelmarken wurden weitergegeben. Und Eigenverantwortung war angesagt, man packte an. Es war kein Staat da, nach dem man rufen konnte.

Die Erinnerungen an das Kriegsende und die Nachkriegsjahre sind in meiner Erinnerung fest verankert und haben mich auch geprägt. Allerdings hat mein Elternhaus auch ganz entscheidend zu meinen Wertvorstellungen beigetragen.

Die Währungsreform am 20. Juni 1948 und die weltpolitischen Entwicklungen brachten das „Wirtschaftswunder“ mit seinen bekannten Wellen – der Fresswelle, der Kleiderwelle, der Möbelwelle, der Autowelle, der Reisewelle.

Aus diesen Wellen ist eine einzige geworden. Der demokratische Staat festigte sich, die soziale Marktwirtschaft bewährte sich, der Staat übernahm auch die soziale Absicherung seiner Bürger. Das Gesundheitssystem wurde eines der besten der Welt (wie sich gerade jetzt in der Corona-Krise recht deutlich erweist).

Das Bild, dass ich heute von Deutschland habe, macht mich nachdenklich, die Medien sind daran nicht unschuldig. Es wird nur gemeckert, es werden Ängste geschürt, es wird auf den Staat geschimpft. Die Eigenverantwortung wurde zurückgedrängt, man lehnt sich bequem zurück, der Staat soll es regeln.

Es gibt ohne Zweifel Armut in Deutschland, Arbeitskräfte aus anderen EU-Staaten werden ausgenutzt, aber ich habe wenig Verständnis dafür, wenn statistisch ausgerechnet wird, wer in Deutschland arm ist und den Menschen eingeredet wird, dass sie arm sind.

Nun muss ich an dieser Stelle ehrlicher weise sagen, dass ich auch durch meine Reisen zu einer eigenen Einschätzung von Problemen und Armut gekommen bin.

An dem „Zubrot“ gemessen, dass sich unserer früherer Bundeskanzler Gerhard Schröder im russischen Erdgasgeschäft und der frühere Außenminister Sigmar Gabriel demnächst im Aufsichtsrat der Deutschen Bank verdient, bin ich allerdings auch arm.

Clemens Schelhaas