40 Jahre Top-Kurier Jetzt kommen die Schützen zu Wort
Jüchen · Auf einige Jahrzehnte, teilweise sogar Jahrhunderte lange Tradition blicken die vielen Schützen- und Heimatvereine, Dorfgemeinschaften und Bruderschaften in Jüchen zurück. Sie prägen die Gemeinschaft auf beispiellose Weise. Zum 40-jährigen Bestehen des Top-Kuriers kommen ein paar der engagierten Präsidenten, Vorsitzenden und Brudermeister zu Wort und verraten, wie sich das Schützenwesen entwickelt hat, was die Gemeinschaft so besonders macht und wie die Zukunft der Traditionsvereine aussehen könnte.
Präsident Thomas Lindgens vom Bürgerschützen- und Heimatverein Jüchen:
Liebe Leserinnen und Leser, es gibt etwas zu feiern: der Top-Kurier wird 40 Jahre alt! Zu diesem Jubiläum gratuliere ich im Namen der Jüchener Schützen ganz herzlich. Seit vierzig Jahren begleitet der Top-Kurier die Jüchener Bevölkerung und uns Schützen Woche für Woche mit Berichten über unsere Orte, unsere Heimat und unsere Veranstaltungen. Vieles hat sich in dieser Zeit verändert und es lohnt sich einmal einen Blick zurück, aber auch nach vorne zu werfen.
In den letzten Jahrzehnten hat eine rasante technische Entwicklung stattgefunden, die natürlich auch bei uns Schützen große Veränderungen herbeigeführt hat. Feierte man vor vierzig Jahren noch bei einfacher Beleuchtung mit farblosen Glühbirnen, gleichen Schützenzelte heute professionellen Diskotheken – bunte Lichtshows begleiten die Auftritte der Musikbands. Boxen, mannshoch und hunderte Kilo schwer, produzieren einen Sound, der großen Open-Air-Konzerten gleicht. Qualitativ sicherlich eine riesige Weiterentwicklung. Aber wo Licht ist, da ist auch Schatten. Aktuell stehen wir Schützen vor neuen, nicht unbedingt nur positiven Veränderungen. Die Digitalisierung der Gesellschaft schreitet mit einer extremen Geschwindigkeit voran. Persönliche Treffen werden heute leider viel zu oft durch schnelle Messenger-Nachrichten ersetzt, persönliche Emotionen durch digitale Emojis geteilt.
Neben diesen Entwicklungen spüren wir Schützen genau wie die gesamte Gesellschaft aber auch eine extreme Kostenexplosion. Schützen- und Heimatfeste seien zukünftig gar nicht mehr für uns Vereine finanzierbar, so der Tenor mancher Berichte. Viele sprechen schon vom Ende unserer Traditionen. Welche Entwicklung wir Vereine auch hier in Jüchen nehmen werden, hängt jedoch nicht nur von diesen äußeren Umständen, sondern vielmehr von unseren Einstellungen und Reaktionen ab. Eine bessere Zukunft beginnt immer heute. Dieser Prozess ist aber keine Revolution, sondern eine Evolution. Wir sind nicht die letzte Generation, die etwas tun kann, sondern die erste, die den Wandel in der Hand hat.
Wir alle, auch wir Schützen müssen in Zukunft zeitgemäße beziehungsweise zukunftsweisende Lösungen suchen und finden. Werden wir dies schaffen? Ja, denn bis heute ist die Begeisterung der Menschen für unsere Feste unverändert hoch. Wir Jüchener Schützen feiern generationsübergreifend im mit viel Lebensfreude – heute wie vor vierzig Jahren. Diese Begeisterung wird uns auch noch in sechzig Jahren, dann zum 100. Jubiläum des Top-Kuriers, Schützenfeste feiern lassen.
Vize-Präsident Oliver Paulussen vom Spiel- und Bürgerverein Holz:
Holz blickt auf eine lange Tradition von Schützenfesten zurück. Die Schützenfeste waren immer gut besucht und die Holzer Bürger, Freunde und angrenzende Vereine hatten immer viel Spaß bei den Veranstaltungen. Doch schon vor der Coronapandemie deutete sich an, dass es mit jedem Jahr schwieriger wurde, die Holzer Bürger für das Schützenfest in Holz zu begeistern. Die Coronapandemie hat diesen Zustand noch verschärft, so dass sich der Vorstand nach dem ersten Schützenfest nach Corona zusammengesetzt hat und sich über die Zukunft des Schützenfestes in Holz Gedanken gemacht hat. Wir als Vorstand glauben an die Zukunft des Schützenfestes in Holz. Wir haben bei vielen Sitzungen darüber diskutiert, was wir verbessern müssen, um die Menschen wieder für das Holzer Schützenfest begeistern zu können.
Eine Erkenntnis war, wir können feiern. Wir müssen nur noch mehr Besucher begeistern, um mit uns zu feiern. Ein zentraler Punkt ist die Nachwuchsarbeit. Wir müssen für den Nachwuchs attraktiver werden. Viele Gruppen leiden darunter, keinen Nachwuchs zu bekommen und somit früher oder später aufhören zu müssen. Es gibt allerdings auch positive Lichtblicke, wo sich Jugendliche engagieren und aktiv mitmachen. Das reicht aber leider bei Weitem noch nicht aus, um den Verein dauerhaft zu stützen. Zusätzlich müssen wir auch die Holzer Bürger gewinnen, sich nicht nur während der Umzüge und der Parade am Straßenrand hinzustellen, sondern auch ins Zelt kommen und mit uns feiern.
Mit diesen Überlegungen haben wir beschlossen, das Schützenfest in Holz leicht umzustrukturieren. Durch die Umstrukturierung erhoffen wir uns, die Attraktivität des Schützenfestes zu verbessern und mehr Besucher für die einzelnen Veranstaltungen zu gewinnen. Beginnen werden wir am Freitag mit einer kölschen Nacht, mit einer Live Band und DJ. Der Vorverkauf für dieses Event beginnt im Mai. Die Live Band wird in Kürze bekannt gegeben. Lasst Euch überraschen! Eine weitere Änderung wird sein, dass der Klompenball dieses Jahr nicht im Zelt stattfindet, sondern im Bürgerhaus. Der Samstag und Sonntag werden auch leicht umgestaltet, so dass wir im Ganzen hoffen, das Schützenfest dieses Jahr und in Zukunft attraktiver zu gestalten, um wieder dauerhaft mehr Menschen für das Schützenfest in Holz begeistern zu können.
Vizepräsident Markus Schmitz des Bürgerschützenvereins Gierath-Gubberath:
Im Geburtsjahr des Top-Kuriers war Manfred II. Kirschner und seine Königin Margret das amtierende Königspaar in Gierath/Gubberath und die Protokollbücher berichteten damals schon von Innovationen und Herausforderungen, die heute aktueller denn je sind. So wurde 1983 zum Tanz in den Mai noch eine Maikönigin gewählt (diese kam aus Grevenbroich) und das Tambourcorps Orken als treuer Begleiter der Gierather und Gubberather Schützen feierte sein 85-jähriges Jubiläum. Zum Schützenfest wurde erstmalig ein ökumenischer Gottesdienst gefeiert und am Schützenfestsamstag fielen schwere Gewitter über das Doppeldorf, welche zu einem Großalarm führten. Damals und heute befasste man sich mit der Gestaltung der Feste, suchte nach Verbesserungen und musste sich nicht minder mit der Finanzierung beschäftigen: Der Jahresbeitrag stieg von 12 DM auf 18 DM!
Wie man sieht, haben sich die Themen, mit denen sich Vereine beschäftigen müssen, nicht grundsätzlich neu erfunden – man kann auch hier schon fast von Tradition sprechen. Und Tradition ist in der heutigen Zeit – insbesondere nach der Coronapandemie – wichtiger denn je.Das Brauchtum ist ein wichtiger sozialer Anker, den wir in Gierath und Gubberath sehr stark bei der Jugendarbeit, bei unserem Edelknabencorps (übrigens mit Mädchen!) spürbar merken. Hier wird dem hektischen Alltag etwas Geschwindigkeit genommen und die Heimatverbundenheit, sowie das Wir-Gefühl gestärkt – und hierfür lohnt sich jeder Aufwand!
Und dies soll auch weiter so gehen! Wie vor 40 Jahren stellen wir uns den Herausforderungen und werden uns im Spagat zwischen Tradition und Innovation behaupten und sicherlich schon kurzfristig Änderungen vornehmen, sowie auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren müssen: Die Anzahl der Zelteverleiher und Schausteller sowie der Marschmusiker sinkt rapide und fast täglich sind die Hilferufe der Brauchtumsvereine zu vernehmen.
Heute müssen wir uns mit anderen Sachverhalten beschäftigen (und es wird nicht einfacher) aber der Blick zurück zeigt uns, dass wir hiervor keine Angst haben müssen. Alle Herausforderungen, die der Bürgerschützenverein Gierath-Gubberath bisher gemeistert hat, werden mit den schönen Momenten und dem Zusammenhalt spätestens zum großen Schützenfest belohnt. Wir wünschen dem Top-Kurier alles Gute für seine Herausforderungen und freuen uns auf die weitere, gute Kooperation!
Vorsitzender Dirk Weidemann von der Dorfgemeinschaft Otzenrath/Spenrath:
Wie hat sich das Schützenwesen verändert? „Zuallererst bleibt festzuhalten, dass wir in Otzenrath und Spenrath seit 1975 eine reine Klompenkirmes feiern. Die ist zwar in Ablauf und Organisation einem Schützenfest sehr ähnlich, aber trotzdem auch grundverschieden. Wir haben knapp über 400 Mitglieder, 350 aktive. Die Hälfte davon sind Frauen. Auch in unserem Vorstand. Wir gelten daher ein wenig als Exoten bei den Schützen. Gleichzeitig ist das unser Geheimnis des Erfolges! Wir sind da sehr stolz drauf!“
Was ist gut, was nicht? Wie wird sich die Zukunft entwickeln? „Unsere Klompenkirmes hat sich seit 1975 stetig nach vorne entwickelt. Sie ist das zentrale und größte Dorffest im Jahresablauf und wird von Jung und Alt geliebt. Das Erfolgsgeheimnis ist unser emanzipierter Auftritt. Bei uns fühlen sich Frauen wie Männer gleichermaßen zu Hause. Die Hälfte unserer Züge sind Frauengruppen, die eigene Zugführerinnen und Zugköniginnen haben. Jedes Jahr melden sich neue Frauen- und Männergruppen an. Auch wir haben ein Haupt-Klompenkönigspaar, Kleiderordnungen, Zugordnungen, Marschmusik und so weiter. Aber: für Frauen wie Männer gleichberechtigt. Unsere zweite Vorsitzende ist eine Frau. Das wäre ja in einer Bruderschaft undenkbar. Ich will diese Tradition dort nicht bewerten. Diese ist sicherlich berechtigt. Jedoch haben wir keine Nachwuchssorgen.
Wir werden als modernes, cooles Fest wahrgenommen, welches trotzdem eine tiefe Tradition hat. So sind wir hier aufgewachsen. Das ist selbstverständlich für uns. Die Frauen sind Teil der Sache. Trotzdem marschieren wir (auf den Klompen), ehren Gefallene, ist der Kirchgang Pflicht. Das alles gehört dazu. Wir nehmen das ernst. Nur halt gemeinsam mit reinen Frauen- und Männerzügen.
Wie sieht die Zukunft aus? „Uns treibt bei der Sorge um die Zukunft der Klompenkirmes nicht das Thema Nachwuchs, sondern die Rahmenbedingungen. Wir haben schon in der Corona-Zeit viele Entscheidungen nicht verstanden. Die Nachwirkungen belasten uns immer noch. Zudem kommen erhebliche Mehrkosten seitdem, die der Ukraine-Konflikt noch zusätzlich befeuert. Wir wollen zukünftig kein Fest für Besserverdiener werden, sondern volksnah bleiben. Das darzustellen ist die größte Herausforderung. Hier würde ich mir mehr politische Hilfe wünschen. Auch Bewusstsein: Denn ohne das Ehrenamt und unsere Feste und Traditionen wird Gesellschaft ärmer und kälter werden. Das sollten wir gemeinsam vermeiden. Miteinander ist füreinander!“
Hubert Bierewirtz, Brudermeister der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft Garzweiler:
„Die Pflege von Traditionen ist nicht einfach ein stures Festhalten an Altem – es ist nicht das Aufbewahren der Asche, sondern das Aufrechterhalten der Flamme.“ Diese Aussage drückt klar aus, was die wichtigste Aufgabe unserer Bruderschaften, Schützen- und Heimatvereine und Dorfgemeinschaften ist. Traditionen sind wichtig für unser Leben. Wir müssen die Menschen wieder dazu animieren, zu uns zu kommen und mit uns zu feiern. War es früher normal, einen Schützenzug mit Freunden oder Klassenkameraden zu gründen und Schützenfest das höchste Fest im Dorf, so schade ist die Tendenz, dass es jetzt in eine andere Richtung schwenkt.
Das Internet bietet den Menschen jederzeit kostengünstig Unterhaltung, durch die Coronabeschränkungen hat man sich daran gewöhnt, alleine Zuhause zu sein und die Preise für Zelteintritte, Getränke oder einfach eine Currywurst mit Pommes sind enorm gestiegen. Das hält sicher viele auch vom Besuch unserer Feste ab. Hier müssen wir alle gegensteuern und unsere Vereine attraktiver für die Jugend machenm, um Nachwuchs zu bekommen, der den Verein weiterführt und die Traditionen aufrecht erhält.Wir Vereine gestalten doch auch alle maßgebend das Leben in unseren Dörfern mit. Wir feiern doch nicht nur Schützenfest, wir organisieren das Maibaumsetzen, die St. Martinszüge mit den Dorfsammlungen, Sommerfeste, Dorfreinigungstage, wir haben Patenschaften mit Seniorenzentren und Kindertagesstätten, wir betreiben das Dorfarchiv.Wer soll das sonst machen, wenn nicht wir? Wo sonst ist zum Beispiel so eine große Alterspanne wie bei einem Schützenfest vertreten und Jung und Alt feiern fröhlich und ausgelassen miteinander?
Unsere jüngsten Schützen sind noch im Kindergarten und im vergangenen Jahr durften wir zwei Schützenbrüder, beide über 90 Jahre alt, für 75-jährige Mitgliedschaft ehren. So sind auch alle Gäste herzlich zu unserem diesjährigen Schützenfest in Garzweiler vom 12. bis 15. Mai 2023 eingeladen. Kommen Sie, feiern Sie mit uns. Gestärkt worden sind in den letzten Jahren aber besonders die Beziehungen zu den benachbarten, befreundeten Vereinen.„Gemeinsam durch die Krise“ war nur eine unsere gemeinsamen Aktionen. So blicken wir hoffnungsvoll und zuversichtlich in die Zukunft und freuen uns in Garzweiler ganz besonders auf das Jahr 2025. Dann feiert unsere Bruderschaft ihr 575-jähriges Jubiläum und wir wollen unsere lang geplante Erinnerungsstätte im rekultivierten Gebiet einweihen.
Präsident Stefan Justen vom Bürgerschützenverein Bedburdyck und Stessen:
Als vor 40 Jahren der Top-Kurier das erste Mal erschien, befanden sich die Schützenvereine auf dem Zenit ihrer Zeit. Die Pflege der örtlichen Gemeinschaft lag vielen Bürgern sehr am Herzen. In der Zeit stieg aber auch die Anzahl der Veranstaltungsangebote und Großevents und insbesondere die Jugend blickte sehnsüchtig auf die Veranstaltungen außerhalb der Ortsgemeinschaft. Dies ging einher mit einem ständigen Rückgang der Mitgliederzahlen. Aber auch die veränderten Bildungs- und Arbeitsstrukturen machten es den kleinen Ortsvereinen schwer, Nachwuchs zu finden.
Die Zentralisierung der weiterführenden Schulen, generell eine gute Sache, ermöglicht den Jugendlichen qualifizierte Ausbildung, neue Kontakte und eine Erweiterung des Blickfelds, hat aber für die kleinen Ortsvereine den Nachteil, dass sich Neubildungen von Schützenzügen auf die Ortschaften der Schulzentralisierung verlagern. Hinzu kommt, dass der demografische Wandel auch bei den Vereinen eine Überalterung nach sich zieht. Durch die Coronapandemie hat sich die Situation der Vereine weiter verschlechtert. Über den Verlust an Mitgliedern hinaus mussten wir feststellen, dass Tambourcorps, Musikvereine und Bands auch gelitten haben, sich teilweise auflösten oder so geschrumpft sind, dass ein Auftritt nicht mehr möglich ist. Es besteht deshalb ein großer Mangel an diesen wichtigen Begleitern eines Schützenfestes. Auch der Besuch der Festveranstaltung war im letzten Jahr zurückgegangen. Wir hoffen, dass dieser Trend nicht anhält.
Mit dem Programm „Neustart miteinander“ der Landesregierung nach der Coronapandemie wurde den Vereinen sehr geholfen. Eine Hilfestellung, die hoffen lässt, dass auch bei Landesregierungen und Behörden der Fokus wieder mehr auf Förderung von Gemeinschaft und dem Erhalt von Traditionen gerichtet ist und nicht weiter der Gedanke verfolgt wird, welchen neuen Verordnungsknüppel können wir den Vereinen jetzt zwischen die Beine werfen. Für die Zukunft wäre es schön, wenn wir das Schützenwesen in seiner Form erhalten können. Es gibt kaum ein Fest in den Ortschaften, welches die Gemeinschaft besser pflegt. Es ist ein Anlass außerhalb von Festtags- oder Familienfesten Verwandte, Freunde und Bekannte einzuladen und in den Ortschaften ist es gerade für neu hinzugezogene Mitbürger eine Plattform, Zugang in die Ortsgemeinschaft zu finden.