Im Portrait: „Luftschutzanlagen Rhein-Kreis“ „Dreimal Fliegeralarm und der Tag war gelaufen“

Orken · Das Ende der Rosenstraße in Orken ist eine Sackgasse. Hier, in der Mitte der Straße, ist ein Grünstreifen, auf dem ein etwa zwei Meter hohes, grau-braunes, rundes Beton-Konstrukt irgendwie so gar nicht in die beschauliche Einfamilienhaus-Siedlung passt. Teilweise wird es durch Buschwuchs an den Seiten verdeckt.

Jörn Esposito (links) und Stefan Rosellen im Bunker in der Rosenstraße.

Foto: KV/-nic.

Die Tür, die den Blick in das Innere freigibt, steht offen. Feuchtigkeit zieht nach oben und der Blick fällt beim Betreten des Raumes auf einen historisch anmutenden großen Blechkübel mit Deckel und zwei Griffen an der Seite. „Das ist noch eine original Behelfs-Toilette von damals“, sagt Jörn Esposito. Er ist Vorstandsvorsitzender des Vereins „Luftschutzanlagen Rhein-Kreis“.

Wir stehen mit ihm am Eingang des so genannten „Moerser Topfs“ – einem ehemaligen Rundbunker, der ab 1943 in dieser Form vielerorts am gesamten Niederrhein errichtet wurde. Vorsichtig steigen wir weiter in den Bunker hinab. Auf den Treppen hat sich ein wenig das Wasser gesammelt, Feuchtigkeitsspuren an den Wänden sind zu sehen. Allzu tief liegt der Luftschutzraum gar nicht. „Der ,Moerser Topf‘ ist zum Teil überirdisch und zum Teil maximal circa ein Meter unter der Erde“, erklärt Jörn Esposito, der heute gemeinsam mit seinem Vorstandskollegen Stefan Rosellen extra für die Redaktion des Magazins „Grevenbroich – Unsere Heimat“ eine Exklusiv-Führung macht.

Warum der „Moerser Topf“ in der Rosenstraßen nicht wirklich tief in die Erde führt, ist bisher ungeklärt. „Möglicherweise war der Grundwasserspiegel zu hoch, die Baugrube ist nicht rechtzeitig fertig geworden oder man hat ihn bewusst oberirdisch gebaut. Wir wissen es leider nicht“, so Stefan Rosellen. Die Fliegerangriffe durch die Alliierten nahmen gerade in den letzten zwei Jahren des Krieges stark zu. Eile war also geboten und somit ein schnelles Fertigstellen des Bunkers, der 1943 entstand. Die Baupläne gehen auf Ingenieur Georg Ludwig Eberlein zurück. Er stammte aus Mittelfranken und heiratete damals in ein Moerser Bauunternehmen ein. Um 1941 entwarf er den Bunker-Typ, den er kurzerhand „Moerser Topf“ nannte.

„Das ist noch eine original Behelfs-Toilette von damals“, sagt Jörn Esposito.

Foto: KV/-nic.

Diese Bauform zeichnete sich durch eine hohe Schutzwirkung bei einfacher und einheitlicher Bauweise sowie einem geringen Materialbedarf aus. Die Bauzeit lag bei rund zwei Monaten. Der Schutzraum ist dabei immer kreisrund angelegt und mittig durch eine Betonsäule abgestützt, sein Durchmesser kann variieren. In die Säule wurden grundsätzlich Schächte für Zu- und Abluft eingelassen, um so (im Idealfall) mittels eines Handlüfters frische Luft ins Innere zu befördern.

Nur wenige Stufen führen in das Kernstück – den Schutzraum – des „Moerser Topfs“. Ob es damals schon so feucht war wie heute – vermutlich. „Rund 30 Menschen, wobei Kinder nicht mitgezählt wurden, die konnte man im Notfall auf den Schoß nehmen, fanden hier Schutz vor Luftangriffen“, sagt uns Stefan Rosellen. Entlang der Wand und der Säule in der Mitte waren Bänke mit Rückenlehne angebracht. Warum mit Rückenlehne? Um die Menschen ein wenig vor der Kälte zu schützen.

Die Decke über uns ist nur 1,50 Meter dick. Auch die Außenwände mit gerade mal einem Meter Dicke hätten bei einem Volltreffer wohl nicht viel ausrichten können. „Glücklicherweise ist es hier nie dazu gekommen, obwohl nur 320 Meter vom ,Moerser Topf‘ entfernt, eine 500-Kilogramm-Fliegerbombe detonierte. Von der Detonation ist ein Bombentrichter im Wald zurückgeblieben: Durchmesser elf Meter und circa 2,5 Meter tief. Auf dem heutigen Kirmesplatz wurde kürzlich ein 250-Kilogramm-Blindgänger gefunden. Dieser soll nach Orken zurückkehren, um der geschichtlichen Aufarbeitung zu dienen“, so Jörn Esposito.

Fliegeralarm war gerade in den letzten Jahren des Krieges mehrfach an der Tagesordnung und gehörte quasi zum Alltag der Menschen dazu. Bei der Sichtung eines oder mehrerer Flugzeuge mussten die Bewohner sofort Schutz suchen. Wer nicht in den Bunker konnte oder wollte, ging in den eigenen Keller oder zum Nachbarn, wenn er keinen eigenen Keller hatte. „Oft teilten sich Familien auch auf. Während der eine Teil in den Bunker ging, bewachte der Rest der Familie im Keller quasi das Haus vor Plünderern oder versuchte bei einem Feuer zu retten, was noch zu retten war“, erklärt Stefan Rosellen.

Und so verbrachte man während eines Fliegeralarms zwischen 15 Minuten und bis zu drei Stunden im Bunker. Mit dabei hatte man nur sein Notgepäck sowie wichtige Dokumente und Ausweise. Nur wenige hundert Meter von diesem Standort entfernt, gab es an der Blumenstraße (heute Orkener Park), einen weiteren Luftschutzbunker vom Typ „Moerser Topf“. „Die körperliche und seelische Belastung während der Kriegsjahre war enorm. Mitten in der Nacht geht der Alarm los, rein in den Bunker und später bei Entwarnung wieder raus, versuchen wieder einzuschlafen und am nächsten Tag ging der Alltag – der auch zu Kriegszeiten existiert – ja nun mal weiter. Dreimal mitten in der Nacht raus, weil die Flieger über die Wohngebiete donnerten und der nächste Tag war gelaufen“, so Rosellen.

Foto: KV./-nic.

Der Verein bietet regelmäßig solche Führungen durch Luftschutzanlagen im Rhein-Kreis durch. Durch zahlreiche Interviews, die sie mit Zeitzeugen geführt haben und ein enormes eigenes geschichtliches Wissen, lassen sie die traurige Historie Deutschlands zwischen 1939 und 1945 wieder lebendig werden. Gegründet hat sich der Verein im Juli 2018. „Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Geschichte des Luftschutzes im Rhein-Kreis zu erforschen, zu dokumentieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, sagen die Beiden.

Die Arbeitsgebiete umfassen unter anderem die Begehung von Luftschutzanlagen und deren Dokumentation, die Sichtung und Auswertung von Archivmaterial, Interviews mit Zeitzeugen und Führungen durch Luftschutzanlagen. „Über die Alliierten-Luftangriffe im heutigen Rhein-Kreis und deren Folgen für die ,einfachen‘ Bürger gibt es keine gesammelten Informationen. Diese sind im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten beziehungsweise nie schriftlich hinterlegt worden. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, diese Lücke wieder zu schließen und die gewonnenen Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, steht es auf der Webseite des Vereins.

Auch auf der vereinseigenen Facebook-Seite kann man regelmäßig etwas über die Aktivitäten erfahren. In Grevenbroich sind bisher 23 Bunker dokumentiert. 83 Bunker sind bekannt, wovon viele sich auch in Privatbesitz befinden. Laut Schätzungen des Vereins gibt es rund 1.000 Luftschutzanlagen im Rhein-Kreis. Der Verein hat derzeit 45 Mitglieder und der Jahresbeitrag umfasst gerade mal 24 Euro für aktive Mitglieder und zwölf Euro für Passive. Die Führungen sind kostenlos, Spenden sind natürlich jederzeit willkommen. „Uns ist einfach wichtig, dass das geschichtliche Wissen und die Zeitzeugenberichte aus unserer Region nicht verloren gehen. Wir möchten mit unserer Arbeit Geschichte erlebbar und begreifbar machen.“

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