Bürgerbegehren zur Flüchtlingsunterbringung „Wer Demokratie will, muss etwas dafür tun. Ein kurzer Auftritt auf dem Marktplatz reicht da nicht.“

Wevelinghoven/Hemmerden. · Im Vorfeld der Ratssitzung am kommenden Montag, in der über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens des Vereins „Grevenbroicher gegen Ghettos“ entschieden werden soll, war das Gutachten an dieser Stelle publiziert worden ([Link auf https://www.erft-kurier.de/grevenbroich/grevenbroich-gutachter-erklaert-beide-buergerbegehren-fuer-unzulaessig_aid-110022269]). Jetzt liegt eine Stellungnahmen des Vereins vor.

Bianca Frohnert und Uta Bauer-Kernchen vom Verein „Grevenbroicher gegen Ghettos“.

Foto: privat

Aufgrund der komplizierten Zusammenhänge und angesichts der gegenläufigen Meinungen veröffentlichen wir das Schreiben des Vereins im Wortlaut:

Sehr geehrter Bürgermeister,

wir bedanken uns für die Zuleitung des „Doppelgutachtens“ des Prof. Dr. Hoffmann vom 25. März.

Ihre Ankündigung vom 27. März, auf der Grundlage des Gutachtens dem Rat zu empfehlen, die Unzulässigkeit beider Bürgerbegehren festzustellen, kommentieren wir wie folgt:

1. Zunächst rügen wir die Auswahl des Sachverständigen. Bei Eingabe dessen Namen in die Internetsuchplattform „Google“ stießen wir zuvorderst auf die Homepage der SPD NRW. Aufgrund des hierdurch zumindest erzeugten Anscheins einer politischen Nähe zur SPD bestehen Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen. Von einem „unabhängigen“ Sachverständigen kann aus unserer Sicht daher nicht die Rede sein.

2. Das Gutachten datiert vom 25. März. Es ging uns mit Schreiben vom 27. März zu. Das dürfte auch für Sie und die Mitglieder des Stadtrates gelten. Wir wissen nicht, wann Ihr Schreiben vom 27. März diktiert wurde. Jedenfalls kann ein Gutachten von 37 Seiten nicht innerhalb eines Tages so durchgearbeitet worden sein, dass man schon am 27.März eine Empfehlung ankündigen kann.

3. Nichts anderes gilt für die Frage, ob die Ratsmitglieder für die kommende Sitzung ausreichend vorbereitet sind. Diese befanden sich zumindest mehrheitlich in den Osterferien. Unter Abzug der Osterfeiertage verbleibt für das sorgfältige Studium und die Beratung des immerhin 37 Seiten umfassenden Gutachtens noch nicht einmal eine (1) Woche! Wer von den Mitgliedern des Stadtrates dennoch für sich beansprucht, gut vorbereitet in die Sitzung am 8. April zu gehen, hat aus unserer Sicht eine eigentümliche Vorstellung von einer „guten Vorbereitung“.

4. Dieser Zweifel verfängt umso stärker, als keine formalen, sondern „lediglich“ inhaltliche „Mängel“ gerügt werden. Der Sachverständige bestätigt, dass die Formalien für ein zulässiges Bürgerbegehren erfüllt sind. Für die Feststellung offensichtlicher Formfehler hätte der Gutachter auch keine 37 Seiten benötigt. Zu seinem Ergebnis, dass beide Bürgerbegehren dann doch letztlich unzulässig sein sollen, gelangt der Sachverständige allein unter Heranziehung seines persönlichen Rechtsverständnisses und seiner Auslegung der zu § 26 GO NRW bestehenden Judikatur. Umfang und Inhalt des Gutachtens erfordern damit eine detaillierte Auseinandersetzung, die innerhalb (1) einer Woche unmöglich ist, wenn man es denn wirklich prüfen will.

Das gilt erst recht, soweit Nichtjuristen im Rat an der Entscheidung beteiligt sind und hier allein deswegen zusätzlicher Erläuterungsbedarf besteht.

5. Der Ausdruck, dass man sich inhaltlich intensiv mit der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens auseinandersetzen will, ist hier deswegen geboten, weil durch die Feststellung der Unzulässigkeit den Bürgern der Stadt das in § 26 GO verankerte Recht der unmittelbaren Mitbestimmung versagt wird. Wer auf dem Marktplatz für Demokratie demonstriert, sollte dem Taten folgen lassen und auch in der Art und Weise, wie man „Demokratie lebt“, zu erkennen geben, dass man nicht nur gegen die AfD demonstriert, sondern ernsthaft gewillt ist, etwas dagegen zu tun, dass sich immer weniger Bürger mitgenommen fühlen und nicht wenige bereit sind, über rechtsradikale Tendenzen in einer Partei hinwegzusehen.

6. Die Informationspolitik der Stadtverwaltung stand schon zuvor in der Kritik. Auch hier wurden mehrfach Aussagen revidiert und korrigiert. Schon zuvor haben Bürger ihrem Ärger Luft gemacht, nicht unterrichtet worden zu sein. Es wurde danach mehrfach Besserung gelobt. Nicht nur die unzureichende Prüfzeit steht dem nun entgegen. Was schmerzlich in Ihrem Schreiben vom 27. März auch vermisst wird, ist das Angebot, bei der im Gutachten für erforderlich gehaltenen Anpassung der Fragestellung zu helfen oder anzubieten, dass in der Ratssitzung zur Zulässigkeit des Bürgerbegehrens Stellung genommen werden kann — zu beiden besteht nach § 26 GO NRW eine gesetzliche Verpflichtung!

7. Das Gutachten konnte durch uns noch nicht vollständig durchgeprüft werden. Wir haben hieran einen anderen Anspruch. Schon jetzt zeigen sich aber methodische Fehler, Verstöße gegen anerkannte Denkgesetze und wirft das Gutachten grundsätzliche Fragen auf:

a. „Keine eigene Sachentscheidung“ — das Gutachter rügt, wir hätten nur die Aufhebung der zu den Massenunterkünften ergangenen Ratsbeschlüsse beantragt.

aa) Den Fachbegriff des „kassierenden“ Bürgerentscheids benennt der Sachverständige. Anfänglich bescheinigt er auch dem Antrag die Zulässigkeit.

bb) Später zieht er diese in Zweifel, soweit er aus § 26 GO über dessen Wortlaut hinaus den Anspruch herleitet, der Bürger müsse endgültig entscheiden.

cc) Soweit es darum geht, die Massenunterkünfte an den vorgesehenen Standorten zu verhindern, führt der Bürgerentscheid zu einer endgültigen Lösung. Mit der Aufhebung der hierzu gefassten Beschlüsse fehlt dem Vorhaben die kommunalrechtliche Grundlage.

dd) Die geplanten Massenunterkünfte sind wie die Unterbringung Geflüchteter ohne Bleibeperspektive zudem keine endgültige Lösung, sondern – ausdrücklich – ein Provisorium. Ihre dauerhafte Integration ist zumindest in der Mehrzahl eben nicht gewollt. Die Unterbringungsdauer war anfänglich nur auf drei Monate veranschlagt und wurde auf unseren Hinweis dann erst auf zwölf bis 16 Monate verlängert.

Was dann mit den Geflüchteten passieren soll, weiß heute niemand und ist auch völlig ungeklärt! Der Rat wird sich ohnehin also mit dieser Unterbringung weiter zu befassen haben. Der Sachverständige fordert von den Bürgern für die Zulässigkeit ihres Bürgerbegehrens etwas, was der Rat selbst in diesem Umfang aktuell nicht leisten geschweige denn entscheiden kann! Das ist schon mit dem Wortlaut des § 26 GO NRW unvereinbar, soweit der Bürger anstelle des Rates entscheiden soll.

ee) Ob die Stadt stattdessen dann dennoch zugewiesene Geflüchtete anderweitig unterbringen kann oder muss, kann der Bürger ebenso wenig wie aktuell der Rat nicht endgültig entscheiden und hängt von einer Vielzahl von Umständen ab, die der Sachverständige teilweise auch anführt. Dies kann unmöglich im Rahmen eines Bürgerentscheid antizipiert und abschließend beurteilt werden.

b. „Unbestimmtheit“ - das Bürgerbegehren richtet sich gegen die klar definierten Ratsbeschlüsse. Enger kann man begrifflich einen Antrag nicht fassen. Die Meinungsbildung hierzu wird in keiner Weise verwässert oder erschwert. In welchem Umfang sich der Bürger zuvor über Hintergründe informiert und auf welcher Erkenntnisgrundlage er sich entscheidet, bleibt ihm selbst überlassen.

c. „Rückwirkungsverbot“ - hier verkennt der Sachverständige den Sachverhalt und so leidet auch dieser Vorwurf unter einem Verstoß gegen anerkannte Gesetze der Denklogik.

aa) Zunächst ist nicht uninteressant, dass der Sachverständige Umstände anführt, die den zur Überprüfung gestellten Ratsbeschlüssen zeitlich vorausgingen. Der Sachverständige bestätigt, dass die Stadtverwaltung Fakten schuf, bevor der Rat überhaupt endgültig entschieden hat. Dies nun dem Bürgerbegehren auch noch vorzuhalten, erzeugt Zweifel an dem Rechtsverständnis für § 26 GO und der darin verankerten Demokratievorstellung.

bb) Entscheidend ist auch hier nicht, wann die Stadtverwaltung Container bestellte, sondern ab wann die ersten Flüchtlinge zugewiesen werden und die Container bewohnen. Die Probleme sind nicht irgendwelche Bauarbeiten, sondern die begründete Besorgnis, wenn zu viele Menschen zu dicht gedrängt ohne jede Hoffnung auf Integration untergebracht werden, so dass es zu Konflikten kommt. Eine Rückwirkung ist daher nicht ernsthaft zu diskutieren.

cc) Wenn im Ergebnis Verträge geschlossen wurden, die im Nachhinein keinen Sinn machen, hat das mit der Zulässigkeit des Bürgerentscheids nichts zu tun. Diese Verträge sind dann im Wege des rechtlich Zulässigen rückabzuwickeln. Damit verbundene Mehrkosten berühren nicht die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens, sondern sind allenfalls in die Kostenschätzung einzustellen. Der Bürger hat dann abzuwägen, ob er diese Mehrkosten in Kauf nimmt oder deswegen dem Bürgerbegehren die Zustimmung verweigert.

d. „Unrichtige Tatsachenangaben“ – auch hier ist der Vorwurf nicht begründet, da der Ratsbeschluss wiedergegeben wurde.

aa) Zunächst handelt es sich um einen nachgeholten Beschluss, der sich ausschließlich mit der Frage befasst, ob die Unterkunft in Wevelinghoven als eigene Einrichtung oder als Landeseinrichtung betrieben wird. Jedem Bürger ist klar, dass mit diesem Beschluss eine Landeseinrichtung gemeint ist. Wer hier lebt und damit die öffentliche Diskussion um die ZUE mitverfolgen konnte, weiß, worum es geht – ob die Frage losgelöst hiervon irgendwem verständlich ist, kann nicht ernsthaft entscheidend sein. Abzustellen ist auf den Empfängerhorizont eines hier lebenden Bürgers, der sich der Wahrnehmung einer öffentlichen Diskussion nicht grundweg versagt und überhaupt für das Bürgerbegehren Interesse zeigt.

bb) Für die negativen Auswirkungen einer Massenunterkunft ist es zudem völlig uninteressant, wer sie betreibt, sondern dass und wo sie betrieben wird sowie in welchem Umfang. Für die unmittelbar betroffenen Anwohner ist es völlig belanglos, ob es eine städtische Unterkunft ist oder eine Unterkunft des Landes NRW.

cc) Soweit mit letzterem allein weniger Kosten verbunden sein sollen – nur das war erklärtermaßen Motiv des Stadtrates - wird der Bürger durch die Kostenschätzung der Stadtverwaltung über die finanziellen Folgen seiner Entscheidung „aufgeklärt“. Soweit diese „Kostenschätzung“ überhaupt nicht danach differenziert, ob in Wevelinghoven eine Landesunterkunft oder eine städtische Unterkunft betrieben wird, ist allenfalls fraglich, ob diese Kostenschätzung inhaltlich überhaupt den Vorgaben des § 26 GO NRW entspricht und hier nicht die Verwaltung – erneut – den Bürger täuscht!

dd) Letztlich ist allenfalls fraglich, ob mit der von dem Gutachter geforderten Hervorhebung, dass es sich um eine „Landeseinrichtung“ handelt, denn nicht über die Kernfrage hinweggetäuscht wird: „Welche konkreten Auswirkungen auf die Bevölkerung sind mit einer Massenunterkunft zu befürchten? “ Dies noch zumal, als die gesamte Infrastruktur von der Kommune zu tragen ist.

e. „Fehlende Verbandskompetenz“ – Auch dieser Hinweis ist ein offensichtlicher Verstoß gegen anerkannte Denkgesetze.

aa) Denn es liegt ein rein kassierendes Bürgerbegehren vor. Es soll nur ein Ratsbeschluss aufgehoben werden. In der Frage der Einordnung der Verbandskompetenz teilt damit die Beurteilung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens die Zulässigkeit des Ratsbeschlusses, der aufgehoben werden soll. War der

Ratsbeschluss verbandsrechtlich zulässig, gilt das auch für das Bürgerbegehren, wenn es auf die reine Aufhebung des Beschlusses abzielt.

bb) Der Sachverständige übersieht hier, dass der Stadt darüber zu befinden hatte, ob überhaupt das Gelände in Wevelinghoven als Massenunterkunft dienen soll und ob die Stadt dies dazu selbst nutzt oder eine Landeseinrichtung vorgezogen wird. Mit dem Beschluss wurde die Verwaltung ermächtigt, mit der Bezirksregierung in Vertragsverhandlungen einzutreten. Diese Vorfrage war zu klären. Und dafür ist allein der Stadtrat zuständig – das Land NRW kann eben nicht gegen den Willen des Rates oder ohne Beschlussfassung durch den Rat diese Landeseinrichtung betreiben. Natürlich war der Stadtrat verbandsrechtlich befugt, darüber zu entscheiden. Daher ist auch ein dagegen gerichtetes Bürgerbegehren verbandsrechtlich zulässig!

Dies sind zunächst unsere Einwände, die sich nach einer ersten Sichtung schlagartig und unter Anstrengung sich aufdrängender Denklogik ergeben. Natürlich werden wir uns noch näher mit dem Gutachten und darin angeführten Rechtsprechung und Rechtsliteratur zu befassen haben.

Soweit sich das Gutachten aber bereits schon jetzt von dem Vorwurf einer am Ergebnis orientierten Bewertung nicht völlig freisprechen lässt und schon der „gesunde Menschenverstand“ losgelöst von einer weiteren rechtlichen Bewertung Zweifel hervorruft, die jedenfalls nicht umgehend zu beseitigen sind, bleiben die Fragen:

„Ist das am 8. April wirklich entscheidungsreif?“

„Will auch das der Rat im Hauruck-Verfahren entscheiden?“

Wir meinen Nein.

Sollte der Rat am 8. April auf dieser Grundlage entscheiden, dürfte wohl das Verwaltungsgericht dies zu überprüfen haben. Will man das ernsthaft provozieren?

Die in § 26 Absatz 2 Satz 8 GO NW geregelte Frist von acht Wochen für die erbetene Vorprüfung ist für das erste Bürgerbegehren bereits längst verstrichen. Die Frist für das zweite Bürgerbegehren droht zu verstreichen. Indes ist die Frist des § 26 Absatz 6 Satz 3 von 3 Monaten, die nach § 26 Absatz 2 Satz 9 sinngemäß anzuwenden wäre, für beide Bürgerbegehren eben noch nicht verstrichen. Der Stadtrat könnte also seine Entscheidung noch vertagen, ohne Gefahr zu laufen, dass der Bürgerentscheid durchgeführt werden muss.

Auch appellieren wir erneut, über ein Ratsbegehren nachzudenken. Genau das entspräche der heutigen Stimmung in der Bürgerschaft, die sich zunehmend überfordert, entmündigt und nicht mitgenommen fühlt. Wer Demokratie will, muss etwas dafür tun. Ein kurzer Auftritt auf dem Marktplatz reicht da nicht. Und wer verhindern will, dass es später heißt „Ohne AfD geht das nicht“, sollte die Bürger mitnehmen wollen.

Wenn ein zumindest SPD naher Professor 37 Seiten benötigt, um in seinem Rechtsgutachten recht umständlich über den Wortlaut des § 26 GO NRW hinaus eine Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens festzustellen, muss sich der Rat schon fragen, ob er hier allein auf der Grundlage dieses Gutachtens über die Zulässigkeit entscheiden kann.

Und „Hand auf’s Herz“: wenn es zu Beginn des Gutachtens heißt, man dürfe da nicht kleinlich sein und müsse die für den Bürger wohlwollendste Betrachtung anstrengen, stellt sich am Ende des Gutachtens dann schon die Frage, wo denn bitte der Sachverständige das in seiner Rechtsprüfung umgesetzt hat.

Mit seinem nicht nur unverständlichen, sondern auch kleinlich wirkenden Prüfungsansatz bekommt man jedes Bürgerbegehren kaputtgerichtet. Hat der Gesetzgeber das so wirklich gewollt?

Mit freundlichen Grüßen

Verein „Grevenbroicher gegen Ghettos

(-gpm.)