Ein Gastbeitrag von Pfarrer Ulrich Clancett „Beichtgespräche“ an der Kneipentheke

Jüchen · Pfarrer Ulrich Clancett hat einen weihnachtlichen Beitrag für die Leser des Top-Kuriers verfasst.

Maler Jürgen Flohr bei den letzten Arbeiten am Kneipen-Tür-Bild in der Jakobuskirche.

Foto: Ulrich Clancett

Jürgen Flohr ist Maler. Als solcher hat er einige Elemente der Krippe in der Jüchener Jakobuskirche neu gestaltet: den Hintergrund, einen großen Bogen, der gut und gerne als Stadttor durchgehen könnte. Und in diesem Jahr ein Bild mit einem ganz ungewöhnlichen Rahmen. „Ich habe schon vieles gemalt, in der Oper, für Kaufhäuser und in Restaurants – aber sowas hab‘ ich auch noch nicht gemacht,“ gibt der 79-jährige Meerbuscher lachend zu Protokoll. Flohrs Aufgabe war eigentlich ganz simpel – malerisch für ihn überhaupt kein großes Problem. Aber es war der Rahmen, der ihn so faszinierte. Der Maler sollte die Eingangsfassade einer alten Jüchener Kneipe malen, und zwar so, dass sie als Hintergrund für die Herbergssuche von Maria und Josef auf ihrem Weg nach Bethlehem dienen konnte. Der Rahmen: das Mittelteil eines Beichtstuhls aus dem 19. Jahrhundert.

Der Beichtstuhl als Ort für eine Kneipentüre. Allerdings auch nicht für irgendeine Kneipentüre. Ja – ich wollte mit dieser Initiative einer leider untergegangenen Jüchener Institution ein kleines Denkmal setzen. Obwohl seit 2011 nicht mehr durchgängig geöffnet, seit einigen Jahren ganz geschlossen, ist die Gaststätte „Zum Pömpchen“, die seit 1901 von der Familie Wirtz betrieben wurde, bis heute im Gedächtnis der Jüchener Bevölkerung verankert. Warum also diese Institution der „Jüchener Altstadt“ nicht auf diese Weise ins Gedächtnis rufen? Und dass der alte Beichtstuhl dafür den Rahmen gibt – was kann es denn Besseres geben? Wie viele „Beichtgespräche“ haben die Wirtinnen und Wirte in über 100 Jahren an der Theke des „Pömpchens“ mit Gästen geführt? Wie viele Menschen haben sich in dieser Kneipe gegenseitig ihr Herz ausgeschüttet, sich Dinge anvertraut, die niemanden etwas angehen? Wenn die Wände dieses alten Hauses an der Kelzenberger Straße sprechen könnten … Aber sie schweigen – wie ein Beichtstuhl eben.

Pfarrer Ulrich Clancett.

Foto: privat

Das ist beruhigend. Aber eben dann auch ein bisschen traurig. Weil es solche Orte immer weniger gibt. Bei uns in Jüchen, in den Dörfern unserer Stadt und sonst wo. Eine Entwicklung, die mir auch als Seelsorger echte Sorgen bereitet. Nicht, dass ich die Beichte, das Buß-Sakrament, oder – wie es eigentlich heißt – das Sakrament der Versöhnung, grundsätzlich in eine Kneipe verlegen wollen würde. Aber die Orte des geselligen, menschlichen Miteinanders werden weniger in unseren Dörfern. Das betrifft die sonst so für das Rheinland typischen Dorfkneipen, aber auch viele gesellige Vereine, die sich spätestens seit der Corona-Krise in ihrer Existenz bedroht sehen.

Dabei dürfte uns das eigentlich nicht egal sein – denn es bedroht damit letztlich auch uns als Einwohnerinnen und Einwohner, als Menschen in den Dörfern. Wenn unsere Dörfer lebens- und (wie die Tourismuswerbung es gerne formuliert) liebenswert bleiben sollen, brauchen sie dringend solche Institutionen und Orte, die auch schon einmal zum Beichtstuhl werden können. Und dabei ist es völlig egal, ob das Gebäude oder Gruppierungen sind.

Wenn ich mir also etwas wünschen dürfte, dann dies: Dass wir es schaffen, bestehende Orte und Vereine dieser Art zu erhalten und – wo notwendig – Menschen finden, die sich im Aufbau eines solchen Ortes oder Vereins engagieren. Einfach so – weil solche Institutionen und Gruppierungen lebensnotwendig für ein menschliches Überleben in einer Gesellschaft sind, die sich immer mehr durch Vereinzelung auszeichnet. Und weil ich ein zuversichtlicher Mensch bin, glaube ich, dass sich bald wieder Türen zu neuen „Pömpchens“ öffnen. Vielleicht haben wir in St. Jakobus mit dem Bild von Jürgen Flohr einen kleinen Anstoß liefern können.

In diesem Sinne: Ein gesegnetes Weihnachtsfest und Gottes Segen auch für das Jahr 2023.

Ihr Pfarrer Ulrich Clancett