Ein Gastbeitrag von Pfarrer Ulrich Clancett Ein Stück des Weges gemeinsam gehen
Jüchen · In einem Gastbeitrag zum Weihnachtsfest wendet sich der katholische Pfarrer Ulrich Clancett an die Leser des Top-Kuriers.
Es gibt solchen Meldungen, die laufen einem nach. Nicht, weil sie besonders grausam sind, von spektakulären Ereignissen berichten oder den Blick in eines der zahlreichen Kriegsgebiete lenken. Sie laufen einem nach, weil sie „rote Alarmleuchten“ einschalten. Eine dieser Meldungen kam ganz unspektakulär daher – und doch beschäftigt sie mich schon seit Wochen immer wieder – in den unterschiedlichsten Zusammenhängen.
Ende November stellte Hendrik Wüst eine im Auftrag des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) erstellte Studie zur „Einsamkeit unter Jugendlichen in NRW nach der Pandemie“ vor. Eine ganz normale Pressekonferenz – wie Dutzende dieser Art zum Ende eines Jahres. Doch die Meldung, die aufhorchen ließ – ja, die mich alarmiert zurückließ: Jede/r fünfte Jugendliche zwischen 16 und 20 in NRW ist stark einsam. Der NRW-Ministerpräsident nannte Einsamkeit sogar die „neue soziale Frage der Gegenwart“. Man müsse sehr aufpassen, dass auch den einsamen Jugendlichen (und Kindern!) keine einsamen Erwachsenen werden.
Mit diesen nachdenklichen Worten von Hendrik Wüst beschäftige ich mich nun schon einige Wochen. Und an immer mehr Stellen wird auch für mich in meinem Alltag sichtbar: Das ist kein Problem anonymer Großstadtviertel, kein typisches Problem älterer Menschen, die keinen mehr haben. Gerade für letztere gibt es ja einige Initiativen, auch über die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage, die Menschen aus ihrer Einsamkeit befreien wollen und können – wenn sie es denn möchten.
Doch: Was ist mit den Kindern und Jugendlichen, den gut 600.000 in NRW, die nach der Studie des Landes „stark einsam sind“. Die allermeisten leben in Familien, haben zumindest ein Elternteil, gehen zur Schule, betreiben Sport in einem Verein. Die sollen stark einsam sein? Wie kann das sein? – Die Soziologinnen und Soziologen beschäftigen sich nun in vielen Fachkommissionen mit der Ursachenforschung und möglichen Gegenmaßnahmen. Das ist gut und sehr wichtig – denn nur so kann dieses Thema aus seiner „Tabuzone“ herausgeholt werden.
Mein Nachdenken geht als Mensch, der für die Menschen in den Dörfern unserer Stadt da sein möchte, in eine andere Richtung – ganz konkret, und oft erstaunlich einfach – auch für Sie, die Sie diese Zeilen kurz vor dem Fest lesen: Was kann ICH eigentlich dazu beitragen, junge Menschen aus ihrer Einsamkeit herauszuholen? Auf keinen Fall als „hoffnungslose Fälle“ abschreiben, nach dem Motto: „Lass sie doch vor ihrem Bildschirm versauern – sie wollen es ja nicht anders…“
Ich möchte alle Möglichkeiten nutzen, den jungen Menschen zu sagen: Du bist nicht wirklich allein, auch wenn sich das für Dich so anfühlt. Ich nehme Dich ernst in Deinen Sorgen, oft auch in Deiner Perspektivlosigkeit. Und komm – ich biete Dir an, ein Stück des Weges mit Dir zu gehen. Die konkrete Welt da draußen drängt oft dazu, sich in sein Schneckenhaus zurückzuziehen. Trotzdem ist sie schön und lebenswert – auch für Dich.
Wie wäre es, wenn jede/r von uns in diesem Sinne in den kommenden Tagen einmal genau hinschaut und eine/n Jugendlichen anspricht. Das erfordert Mut – und mit Sicherheit oft auch eine hohe Frustrationstoleranz und viel Geduld. Daraus kann aber das schönste Weihnachtsgeschenk, das wir je erlebt haben, erwachsen: Gemeinschaft!
In diesem Sinne: Ein gesegnetes Weihnachtsfest und Gottes Segen gegen die Einsamkeiten, die uns umgeben, auch für das Jahr 2024.
Ihr Pfarrer
Ulrich Clancett