Corona und die Agrar-Verordnung Die Bauern-Proteste sollen bis Januar auf jeden Fall weitergehen

Jüchen · „Auch wenn unsere Versorgung mit Lebensmitteln weiterhin gesichert ist: Langfristig müssen wir regionale landwirtschaftliche Kreisläufe fördern, da diese weniger krisenanfällig sind.“ Mit dieser Forderung ging in der vergangenen Woche der BUND in die Medien. Und auch das hat die Corona-Krise deutlich gezeigt: Die Abhängigkeit von Importen kann für die Bundesrepublik zum Problem werden. Nicht nur auf dem Lebensmittelsektor, aber gerade auch da.

Pfiffige Bauern-Proteste hinderten die Bundesregierung nicht daran, ihr Agrar-Paket im Schatten der Corona-Krise durchzudrücken.

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Michael Schieffer versteht angesichts dieser Entwicklung überhaupt nicht, warum die Bundesregierung – gegen alle Proteste der Landwirte – ihr „Agrarpaket“ quasi im Schatten der Corona-Pandemie durchgedrückt hat.

Vietnam hat den Export von Reis gestoppt. In der weltweiten Corona-Krise soll so die Ernährung der eigenen Bevölkerung gesichert werden. Ob und wann sich diese Maßnahme in den bundesdeutschen Regalen bemerkbar machen wird, muss abgewartet werden.

Für viele Fachleute – und auch für unsere heimischen Landwirte – ein weiteres deutliches Zeichen dafür, dass auch Deutschland über seine Versorgungssituation nachdenken muss.Beispiel Medikamente: Die werden vielfach in China produziert. Versorgungsengpässe durch die Corona-Krise waren die Folge. Gleiches gilt für die viel gefragten Atemschutzmasken, die jetzt mühevoll von der Bundesregierung angekauft werden.

„Da die Regale glücklicherweise mit Lebensmitteln gefüllt sind, stehen diese aktuell nicht im Mittelpunkt der Diskussion. Trotzdem schätzen alle Bürger die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln. Das sieht man schon an den aktuellen Diskussionen über den Erntehelfermangel für den Gemüsebau“, bringt es Landwirt Michael Schieffer vom Dycker Hahnerhof auf den Punkt.

Die neue Düngeverordnung, die fundamentaler Teil des besagten Agrar-Paketes ist, gefährde die bundesdeutsche Selbstversorgung noch um ein Vielfaches mehr, ist er überzeugt.

Gerade die bevorstehende Verschärfung der deutschen Düngeverordnung hat die vergangenen Monate viele Landwirte zu Demonstrationen, Mahnfeuern, und Gesprächen mit Verbrauchern auf die Straße gebracht (wir berichteten).

Deren Kritik bezieht sich hauptsächlich auf zwei Sachverhalte: „Zum einen sind unsere regionalen Grundwasserwerte hervorragend und nicht so schlecht, wie sie vom Umweltbundesamt dargestellt werden. Das Messstellennetz ist nicht nur zu grob, sondern teilweise auch marode und fehlerhaft“, macht Michael Schieffer engagiert deutlich.

Die Landwirtschaft sei zudem nicht der einzige potenzielle Verursacher. Zum anderen seien die Maßnahmen der Düngeverordnung (zum Beispiel wird da eine 20-prozentige Unterversorgung der Pflanzen vorgeschrieben) nicht zielführend und würden nicht bei der Verbesserung der Nitratwerte im Grundwasser helfen, ist der Landwirt überzeugt.

Schon im vergangenen Herbst berichtete der Erft-Kurier.

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Schieffer weiter: „Diese Maßnahmen führen zu reduzierten Erträgen, höheren Lebensmittelpreisen und einem erhöhten Importbedarf von Lebensmitteln. Weitere negative Umwelt-Auswirkungen dieser Maßnahmen wie zum Beispiel eine niedrigere CO²-Bindung sind auch unumstritten.“

Die Landwirtschaft machte auf allen Ebenen viele Verbesserungsvorschläge für wirksame Maßnahmen und führte etliche Gespräche auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen. Sogar Angela Merkel hatte Vertreter zu einem Gespräch nach Berlin eingeladen. Am Ende peitschte die Bundes-Landwirtschaftsministerin ihr Papier dennoch durch.

„Die Corona-Krise hat die Öffentlichkeitsarbeit der Landwirte natürlich in den vergangenen Wochen ausgebremst“, resümiert der Jüchener Landwirt bitter gegenüber der Redaktion des Top-Kurier.

Heute, wo das Unvorstellbare zur Wirklichkeit geworden ist, verschieben sich die Prioritäten der Gesellschaft. „Ich denke, heute schätzt jeder unser hervorragendes Gesundheitssystem und die Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser, was vor Kurzem noch als zu teuer galt. Das Thema Bettenreduzierung und Krankenhausschließungen sind aktuell sicherlich nicht mehr im Fokus. Gleichzeitig bekommen wir deutlich zu spüren, wie schwierig der Import von wichtigen Arzneimitteln und Schutzbekleidung ist, wo der Selbstversorgungsgrad recht niedrig ist. In diesen und auch vielen anderen Fragestellungen wird sich unsere frühere Meinung während und nach der Corona-Krise sicherlich wandeln. Die Fragen, wie wir zukünftig in diesen Bereichen die Selbstversorgung sicherstellen, werden immer lauter“, fasst Schieffer die aktuelle Entwicklung sehr zutreffend zusammen.

Sein Urteil: „Deutschland kann sich unter anderem bei Milch, Mehl, Zucker, Fleisch und vielen Obst- und Gemüsesorten selbst versorgen. Trotz Hamsterkäufen schafft es die regionale Landwirtschaft, genügend qualitativ hochwertige Waren zu liefern, damit die Regale gefüllt bleiben. Das ist aus meiner Sicht nach den ,Trecker-Demos’ der vergangenen Monate eine weitere besonders positive ,Demo’ der deutschen und auch unserer regionalen Landwirtschaft.“

Umso unglaublicher sei es, dass die Bundesregierung am 27. März, trotz vieler Einwände der Bundesländer, die neue Düngeverordnung im Schatten der Corona-Krise im Bundestag durchgedrückt habe.

„Durch die zukünftige Unterdüngung der Pflanzen werden die Erträge bis zu 20 Prozent sinken. Außerdem besteht die Gefahr, einige Früchte (zum Beispiel Gemüse, Brotgetreide oder einige Kartoffelsorten) nicht mehr in den nötigen Qualitäten regional produzieren zu können. Der Selbstversorgungsgrad mit Lebensmitteln wird in Deutschland deutlich sinken“, argumentiert der Jüchener Landwirt.

Folglich wäre Deutschland auf noch mehr Importe aus Südeuropa oder aus Übersee angewiesen. Wohl wissend, dass in diesen Produzentenländern die Ansprüche an eine naturschonende Landwirtschaft mitunter auf einem deutlichst niedrigerem Standard liegen. Und auch der Verbraucherschutz habe nicht immer bundesdeutschen Standard.

Es erscheint also in der Tat widersinnig, was da in Berlin mit dem Agrar-Paket beschlossen worden ist: Unserer hochwertigen, engagierten und zudem auch stark kontrollierten Landwirtschaft werden neue Fesseln auferlegt, wodurch zur bundesdeutschen Bedarfsdeckung immer mehr Importe erforderlich werden, bei denen dann nicht sicher erscheint, dass ebensolche Standards überhaupt erreicht werden.

„Die Reduzierung und Gefährdung der Selbstversorgung mit Lebensmitteln durch die neue Düngeverordnung spiegelt bestimmt nicht den Willen der Gesellschaft wider. Leider ist dieses Thema aber gerade in den Medien völlig untergegangen, obwohl es doch eigentlich heute aktueller und wichtiger denn je ist“, kommentiert Landwirt Michael Schieffer, der seine Kollegen in Jüchen, im gesamten Rhein-Kreis und im gesamten Rheinland auf seiner Seite weiß.

Und für Schieffer sind Protest und Kampf gegen das Agrar-Paket der Bundesregierung mit dem Beschluss Ende März noch lange nicht am Ende angekommen. „Wenn das Gesetz nun da ist, muss es eben geändert werden“, lautet sein ebenso schlichter wie klarer Kommentar.

Auch wenn das Paket von der Bundesregierung jetzt durchgedrückt worden sei, solle es erst am 1. Januar 2021 in Kraft treten. Und so lange solle und werde der Prostet weitergehen, bis die Bestimmungen „wirklich umweltschonend, wirklich haltbar, wirklich ökonomisch“ seien.

„Nach Corona“ sollen die Protestaktionen also wieder aufgenommen werden. „Momentan haben wir andere Probleme. Aber es ist nur eine Vertagung“, so der Jüchener Landwirt im Gespräch mit der Redaktion des Top-Kurier.

Und durch die aktuelle Krise sieht er auch einen Stimmungswandel in der Bevölkerung, in der der Wunsch nach einem höheren Maß an Selbstversorgung – gerade auch im Bereich der Lebensmittel – deutlich aufkeimen würde.

Diesen Schwung wollen die Landwirte mitnehmen in die weiteren Diskussionen mit den Politikern, aber in die Gespräche mit den Bürgern und Verbrauchern vor Ort, die auch in den kommenden Protest-Aktionen wichtiger (Gesprächs-)Partner der Bauern sind.

Immerhin hat die Corona-Pandemie auch das gezeigt: Quinoa aus Südamerika ist schön und gut, wenn es darum geht, sich den Luxus und die damit verbundenen Probleme zu organisieren.

Wenn es aber darum geht, das Leben und das Überleben in einer Krise zu gestalten, dann sind es die anderen Dinge, die von immenser Wichtigkeit sind. Der Top-Kurier wird das Engagement der heimischen Landwirte in der Nach-Corona-Zeit gerne und intensiv weiter begleiten.

(Gerhard Müller)