Mit dem Harem auf der Flucht und von verbotenen Medikamenten

Grevenbroich · Die Mitarbeiter in den Erstaufnahmelager des Rhein-Kreises – unter anderem hier im Berufs-Bildungs-Zentrum – staunen mitunter nicht schlecht. Amtsarzt Michael Dörr schilderte bei der jüngsten Kreis-Gesundheitskonferenz zum Beispiel den Fall, als mit dem neuen Schwung Asylsuchender auch ein kompletter Harem Unterschlupf suchte.

Zwei Ärzte schilderten den Alltag in den Flüchtlingslagern: Hermann-Josef Verfürth und Michael Dörr.

Und oft sind die Fälle weniger „seltsam“ als „gnadenlos brutal“.

Ein Mann, vier Frauen, 13 Kinder entstiegen da also dem Bus. Ein Harem auf der Flucht. Amtsarzt Dörr machte deutlich, dass das bei der „Erst-Erfassung“ durchaus Probleme macht. Auch wenn diese vergleichsweise „nebensächlich“ erscheinen.

Hermann-Josef Verfürth, niedergelassener Arzt aus Neuss, der sich um die Flüchtlinge im ehemaligen Alexius-Krankenhaus kümmert, schilderte da Fälle mit einem anderen Kaliber: Er erzählte von einem 16-jährigen Jungen, der zusehen musste, wie sein Vater von ISIS-Anhängern enthauptet wurde. Oder von einem anderen 16-Jährigen, der mit zwei Freunden von Schwarz-Vermummten vor eine Video-Kamera gezerrt wurde. Sie sollten dann entscheiden, wer von der Dreien umgehend erschossen wird.

„Therapieplätze auch für traumatisierte Kinder und Jugendliche stehen schlichtweg nicht zur Verfügung“, konstatierte Kreisdirektor Dirk Brügge. Und Dezernent Karsten Mankowsky ergänzte, dass auch das Land hier keinen Rat wüsste. Und er warf die Frage auf, wie eine „Therapie per Dolmetscher“ denn überhaupt aussehen könnte.

Verfürth sprach aber noch in anderer Richtung vom „Knüppel der Therapie“: In den Erst-Aufnahmelager würden Akut-Erkrankungen – so gut es geht – behandelt. „Alt-Erkrankungen“ dürften nach Anweisung des Landes nicht angegangen werden.

Grundsätzlich nicht so falsch, im Einzelfall aber doch inhuman: Der junge Mann, der eine Kugel im Gesäß stecken hat, die im Laufe der Zeit zum Hüftknochen gewandert ist, so dass er nicht sitzen und sich auch kaum bewegen kann, musste drei Wochen warten, bis er in ein „feste“ Unterkunft umgesiedelt wurde. Die Mutter, bei der Brustkrebs diagnostiziert wurde, die aber auch nicht behandelt werden durfte, bis sie in die „feste“ Unterkunft gebracht wurde. „Wenn dann das Kind vor Ihnen steht und unter Tränen fragt: ,Warum muss meine Mutter sterben?’, dann ist das wirklich hart“, so der Arzt bewegt.

Auch eine Anweisung der (Landes)-Bürokratie: „Wir dürfen nicht gegen Influenza impfen. Das Land sagt, da ist kein Geld für da. Was machen wir aber, wenn mit dem Winter die Grippewelle in die Aufnahmelager kommt, in denen auf engstem Raum Menschen zusammenleben, die unsere Kälte nicht gewohnt sind?“, fragte Eleonore Pierstoff-Schilden, Kinderärztin aus Wevelinghoven, durchaus erbost.

Fehlende Impfstoffe, Abrechnungsbürokratie oder Medikamenten-Ärger – das sind einige der weiteren Probleme.

Apropos Medikamente: Gerade bei den Flüchtlingen von den Booten im Mittelmeer ist die Krätze ein großes Problem. Hier gibt es in Frankreich ein wirkungsvolles Medikament, dass nach zwei, drei Tabellen umgehend hilft, das aber in Deutschland nicht zugelassen ist.

Also darf es auch nicht verschrieben werden. Deshalb müsse er mit Tinkturen arbeiten, die über mehrere Tage, mit großem Aufwand und geringerem Erfolg eingesetzt werden müssten, ärgerte sich Mediziner Hermann-Josef Verfürth sehr. Er hat sich deshalb jetzt an Bundes-Gesundheitsminister Gröhe gewandt.

(Kurier-Verlag)