So stellen sich Jugendämter auf Kein Kind darf leiden

Welche Folgen hat eigentlich die Corona-Krise für Familien mit Unterstützungsbedarf durch das Jugendamt? Der Erft-Kurier sprach mit Vertretern des Jugendamtes Grevenbroich und des Rhein-Kreises, das für die Stadt Jüchen und die Gemeinde Rommerskirchen zuständig ist.

Marion Klein, Leiterin des Kreis-Jugendamtes.

Grevenbroich. Ein blauer Fleck. Verändertes Verhalten. Ein Hilferuf im Gespräch. Es gibt Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem es Sinn macht, dass das Jugendamt helfend zur Seite steht. Doch auch für die Mitarbeiter gelten nun verschärfte Sicherheitsmaßnahmen aufgrund des Corona-Virus.

Die Jugendämter sind für den Publikumsverkehr geschlossen, die Mitarbeiter versuchen, so kontaktlos wie möglich zu arbeiten. „Wir bleiben aber dennoch engmaschig in Kontakt mit den Familien“, so Marion Klein, Leiterin des Kreis-Jugendamtes.

Damit sind Anrufe, Videonachrichten und -gespräche und Nachrichten gemeint. Für unaufschiebbare Besuche sind die Mitarbeiter mit Schutzmöglichkeiten ausgerüstet. „Wir setzen auf Kreativität und Flexibilität, was dank der hohen Motivation aller Beteiligten gut gelingt. Videochats sind dabei ein wichtiges Instrument. Wenn es notwendig ist, werden die Familien unter Beachtung besonderer Vorsichtsmaßnahmen wie Abstand und Hygiene auch besucht beziehungsweise eingeladen“, erklärt Karin Unverhau vom Grevenbroicher Jugendamt.
Über den Kontakt können die Mitarbeiter des Jugendamtes zum Beispiel dabei helfen, den Tagesablauf zu strukturieren. „Feste Rituale können helfen. Dazu gehören gemeinsame Mahlzeiten, die Beschäftigung von Aufgaben, die durch die Schule übermittelt wurden, und klare Vereinbarungen zur Nutzung von Computern oder dem Fernseher. Dazwischen sollte es aber auch immer wieder Phasen geben, die Zeit für Kreativität und Abwechslung bieten oder jedem einzelnen Familienmitglied auch Raum geben, sich zurückzuziehen“, raten die Grevenbroicher Fachleute. Alleine das helfe den Familien immens.
Zu bedenken ist aber auch, dass sich durch den Wegfall von Schule oder Kindergarten für manche Kinder auch Alltägliches wie das Essen einer warmen Mahlzeit verändert, wie auch Stadtsprecher Renner weiß: „Der Besuch von Schule und KiTa unterstützt Kinder in ihrer Entwicklung. Vieles, was dort gelehrt und vermittelt wird und nun zunächst nicht mehr stattfindet, kann im familiären Umfeld nicht aufgefangen werden. In manchen Familien ist dies leider auch eine gesunde und angemessene Ernährung. Wir sind aber leider nicht dazu in der Lage, alle Defizite, die nun entstehen, aufzufangen und auszugleichen.“
Die Ausnahmesituation hat übrigens eine unkalkulierbare Variable, die pures Glück bedeutet: das Wetter. Klein führt aus: „Das gute Wetter hilft immens. Die Menschen haben bessere Stimmung, als wenn es grau und regnerisch ist. Die meisten Eltern halten nach wie vor erstaunlich gut durch, es macht sich aber inzwischen deutlich bemerkbar, dass die Belastbarkeit weniger wird.“

Das sehen auch die Grevenbroicher Kollegen: „Diese äußere Krise ist vielleicht für viele Familien auch eine Chance, enger zusammenzuwachsen. Das sollten die Familien beibehalten und ihren neuen Alltag quasi immer wieder neu erfinden und beleben, insbesondere dann, wenn sich die Phase noch sehr viel länger hinziehen sollte.“
Alle in den Familien würden ihre Ressourcen aktivieren und auf den 19. April hinarbeiten. „Was passiert, wenn es dann eine Verlängerung geben sollte, mag ich mir gar nicht ausmalen. Dann kippt die Stimmung vermutlich“, gibt Klein zu bedenken.

Pressesprecher Stephan Renner.

Es gibt dennoch Hoffnung, wie Klein berichtet: „Krisenhafte Situationen wecken manchmal auch Fähigkeiten, die sonst vielleicht nicht zum Vorschein kommen.“ Und so entdeckt sie, dass bekannte Familien plötzlich einen neuen Alltag erleben mit gemeinsamen Spielen oder Spaziergängen. Dinge, die für viele alltäglich sind – aber eben nicht für alle.
„Wir müssen uns aber nichts vormachen: Nicht in allen Familien läuft es so, wie wir es uns wünschen. Deshalb sind wir darauf angewiesen, dass im Moment jeder einen Blick hat, wo vielleicht Hilfe benötigt wird. Und auch Eltern, die merken, dass sie die Situation gerade überfordert, sollen sich bei uns melden. Wir stehen dann unterstützend zur Seite“, appelliert Klein.

Denn Kindergarten und Schule sind eine Schutz-Instanz: Hier können Kinder von physischer oder psychischer Gewalt entweder einen Gesprächspartner finden – oder es fällt auf, wenn an ihrem Wesen oder ihrem Körper Veränderungen auftreten. „Jetzt sind es eher blinde blaue Flecke“, deutet Klein an, wie wichtig es ist, hinzuschauen.

Unverhau und Renner sagen dazu: „Die derzeitige Situation ist für alle Familien eine besondere – insbesondere bei beengten Wohnverhältnissen und fehlenden Rückzugsmöglichkeiten. Wir halten den Kontakt zu den von uns betreuten Familien, die ganz besondere Herausforderungen haben, so eng wie möglich.“
In Wuhan soll die Zahl häuslicher Gewalt sogar um das Dreifache angestiegen sein. Ist das auch bei uns im Kreis denkbar? „ Wie sich die Fallzahlen entwickeln, lässt sich kaum prognostizieren. Unser Ziel ist, genau das mit unserer Arbeit zu verhindern. Derzeit stellen wir noch keine Steigerung der Fallzahlen fest“, wissen die Fachleute.
Klein weiß, dass die Hemmschwelle groß ist, sich beim Jugendamt zu melden. Sorgen, dass die Kinder sofort aus den Familien geholt werden, beherrschen die Gedanken. Dabei arbeiten die Experten anders: Das Ziel ist es, dass den Familien geholfen wird, einen gewaltfreien Alltag zu erleben. „Es gibt Gründe, weshalb das in vielen Familien nicht so ist. Da bieten wir Hilfe an. Grundsätzlich ist aber der Grundgedanke, dass die Kinder in der Familie bleiben – nur eben in anderen Strukturen.“ Hinschauen ist nicht die einzige Möglichkeit, wie die Nachbarn aktiv helfen können, rät Klein…-jule.