Jan Ungeheuer (15) ist ein Hochsprung-Ausnahmetalent „Zwei Meter sind nur noch ein Zwischenziel“

Grevenbroich · Die Latte im Schloss-Stadion liegt – an diesem sonnigen September-Tag nur fürs Foto – auf zwei Metern Höhe. Jan Ungeheuer, 15 Jahre jung, steht mit seinem Trainer Wilfried Faßbender auf der Hochsprung-Anlage des TK Grevenbroich, über die später noch zu reden sein wird.

Hochsprung-Trainer Wilfried Faßbender mit seinem Schützling im Schloss-Stadion. Die Latte liegt auf zwei Metern – „Er hat noch ungeheures Potenzial,“ sagt der Coach.

Foto: KV./Pucks

„Die Marke holt er sich bald“, sagt Faßbender voller Überzeugung. Sie ist zwingend logisch, denn Ungeheuer hat seine Bestleistung in zwei Jahren um 34 Zentimeter gesteigert – auf 1.96 Anfang September. „Ein Ausnahmetalent“, so er Coach und macht unfreiwillig ein schönes Wortspiel: „…und der Junge hat noch ungeheures Potenzial.“

Anfang August hatte sich Jan noch mit 1,89 begnügt, bei den Deutschen U16-Meisterschaften in Koblenz. Er holte dennoch den Titel, distanzierte die Konkurrenz ziemlich klar. „Tolles Gefühl dort zu gewinnen“, sagt er. Er kommt eher als ruhiger, zurückhaltender Typ rüber. Schiebt aber hier energisch nach: „Ich wäre aber auch enttäuscht gewesen, wenn es nicht geklappt hätte, bin mit dem Ziel reingegangen – das gewinnst du!“

Die Ansprüche auch an sich selbst sind gestiegen. Mit seiner persönlichen Best-Höhe ist er in seiner Altersklasse in diesem Jahr die Nummer 1 in Europa „vor einem Russen, einem Weißrussen und einem Tschechen“, sagt sein Coach.

Jan Ungeheuer ist in Grevenbroich zu Welt gekommen, seine Eltern und Großeltern sind in Polen geboren. Er geht aufs Erasmus-Gymnasium, einmal in der Woche zusätzlich auf eine polnische Schule. Schule und Sport bekomme er gut unter einen Hut, sagt der Junge. Als Grundschüler spielte er Basketball, machte zudem Leichtathletik. „Das war eine gute Kombination“, sagt Faßbender. „Wenn man zum Sprungwurf ansetzt, ist das im Prinzip der Absprung im Hochsprung.“

In seinem Element – Jan Ungeheuer ist in seiner Altersklasse in diesem Jahr die Nummer 1 in Europa.

Foto: Simon Diel

Seit rund neun Jahren macht der 76-Jährige, der seit über 50 Jahren im Verein ist, selber Hochspringer war („bei mir war bei 1.83 Schluss.“) und eine Leichtathletik-Trainerlizenz besitzt, sportliche Sichtungen in den fünf weiterführenden Schulen in der Stadt. Er testet die Kinder und Jugendlichen, lässt sie etwa Standweitsprung, Seitwärtshüpfen, Kurzsprints machen, überprüft ihre Beweglichkeit.

Sein heutiger Schützling fällt ihm schnell auf. „Im Prinzip hat Jan zunächst ein allgemeines Leichtathletik-Training absolviert“, erzählt er. Zielsetzung Vielseitigkeit. Ungeheuer läuft die Hürden gut, sprintet die 100 Meter bemerkenswert, ist erfolgreich im Weitsprung. Den Weg zu seiner Spezialdisziplin ebnen dann die körperlichen Voraussetzungen. Jan ist groß, aktuell 1,95 Meter, hat dazu ein relativ geringes Körpergewicht.

Er trainiert inzwischen dreimal in der Woche. Sprungkraft, Technik. Anlauf. In den Osterferien in diesem Jahr gab es ein zweiwöchiges Trainingslager in Portugal. Täglich wurde intensiv gearbeitet, an der Technik über der Latte etwa. „Das sah 2023 noch fürchterlich aus“, schmunzelt Faßbender. Mit zunehmendem Alter kommt der Kraft-Faktor dazu, der spiele eine wichtige Rolle. „In diesem Jahr war Jan vielleicht dreimal im Kraftraum. Er wird bald öfters ‚unters Eisen‘ müssen“, sagt Faßbender. Das sei notwendig, um den Körper für diese anspruchsvolle Sportart strukturell zu festigen. Der Coach: „Rücken, Bauch, der ganze Rumpf. Das helfe, Verletzungsgefahren zu minimieren.“

Jans Pensum kann sich sehen lassen, 2024 wird er bis zu zehn Freiluft-Wettkämpfe und drei oder vier in der Halle absolviert haben. In Koblenz kündigte sich die Beförderung in den Bundesleistungskader an. Das sei ausschlaggebend für die spätere finanzielle Förderung, sagt Faßbender. In etwa drei, vier Jahren müsse sich Jan entscheiden – Ausbildung oder den Fokus auf seinen Sport und ersteres etwas schleifen lassen. Ein Balanceakt. „Die Sportler haben trotz dieser Fördermaßnahmen in unserem System keine Absicherung“, sagt Wilfried Faßbender. Nach den Olympischen Spielen in Paris, wo die finanzielle Ausstattung des deutschen Sports abseits des Profifußballs und das durchwachsene Abschneiden der deutschen Athleten Thema war, habe er eine Aufstellung gesehen – demnach verdienen alle Leichtathletik-Trainer in Deutschland im Monat so viel wie ein Trainer in der Fußball-Bundesliga.

Nun, vorerst Zukunftsmusik. Ostern 2025 wird das Duo wieder in Portugal sein. Die Verbesserung von Jans Anlauf steht dann im Fokus. Den demonstriert der Sportler jetzt an der Hochsprung-Anlage des TK Grevenbroich, „eine der wohl schlechtesten in Deutschland“, macht Wilfried Faßbender aus seinem Herzen keine Mördergrube. Von den maximal elf Schritten kann Ungeheuer hier nur vier auf Kunststoff machen, zuvor läuft er über Naturrasen und überwindet dabei sogar eine Steinkante. „Zudem ist der TK der wohl einzige leistungsstarke Leichtathletikverein im Land, der noch eine Aschenbahn hat“, hadert der Coach.

Doch es gibt Hoffnung. Zuletzt sei die Problematik im Sport-Ausschuss heiß diskutiert worden. Die Verwaltung gab den Ball an die Politik zurück. Auflage: zeitnah einen Kostenplan aufstellen und in die nächsten Haushaltsberatungen übernehmen. Ziel: ein Kunstrasen-Spielfeld sowie eine durchgängige Kunststoffbahn für den TK. Faßbender: „Wenn alles optimal läuft, könnte 2026 alles fertig sein.“

Und Jan Ungeheuer? Früher hat er von einer Höhe von zwei Metern geträumt, berichtet er, „heute ist das nur ein Zwischenziel.“ Er gewöhnt sich an die Höhen, sagt sein Trainer. „Die 1.96 waren für mich nicht beängstigend“, sagt Jan, gefragt nach seinem Respekt vor diesen Dimensionen. In Koblenz hatte er nach seinem Sieg 1.94 Meter dreimal gerissen. Beim nächsten Wettkampf, in dem er seine Bestleistung aufstellte, hatte er sogar noch 1,98 auflegen lassen. Der Trainer: „Auch diese Versuche waren nicht schlecht.“

Der Bestleistung in einem Land, das bereits eine Reihe großartiger Hochspringer hervorgebracht hat, ist nach Leichtathletik-Maßstäben uralt. 1984 (!) sprang Carlo Thränhardt deutschen Rekord – 2.37 Meter. Mit diesen Höhen, das spürt man, liebäugelt der 15-Jährige tief in seinem Inneren. „Ja, das wäre was“, sagt er bestimmt. Wie finden eigentlich die Klassenkollegen vom „Erasmus“ seine Leistungen? Da ist er wieder, der zurückhaltende, etwas schüchtern lächelnde Jan Ungeheuer: „Cool!“ murmelt er.