Synagogenplatz Synagogenplatz: Eine Skulptur gegen das Vergessen
Grevenvbroich · In der so genannten „Reichskristallnacht“ des 9. Novembers 1938 ging weit mehr als nur Glas zu Bruch: Neben der Demütigung, Entrechtung und Misshandlung in dieser Pogromnacht und der Inhaftierung der deutschen Juden in das KZ Dachau, um ihre Emigration zu forcieren, durften die jüdischen Gemeinden vor allem ihre Gotteshäuser nicht wieder nutzen. Wertvolle Kultgegenstände wurden beschlagnahmt, die Synagogen niedergelegt, die dazugehörigen Grundstücke mussten zwangsweise verkauft werden. Der Kern jüdischen Lebens wurde bewusst zerstört. Das alles passierte auch mitten in der Stadt Grevenbroich an der Kölner Straße.
Dabei war der Platz, an dem die Synagoge stand, über Jahrhunderte ein sichtbares Zeichen jüdischen Lebens mitten in der Stadt Grevenbroich.
Bereits Mitte des 15. Jahrhunderts sind Juden in Grevenbroich aktenkundig und dort, wo ein „Minjan“ – zehn männliche Gemeindemitglieder – zusammenkam, konnte die Gemeinde aus der Tora lesen und entstand schnell eine Synagoge. Seit 1700 sind auch mit Jakob Levi und Samuel Cain namentliche Synagogenvorsteher bekannt. So gab es schon „seit unvordenklicher Zeit“, wie es in einem Verwaltungsbericht 1816 des Bürgermeisters hieß, eine Synagoge, die seit 1858 auch Sitz des gleichnamigen Synagogenbezirks wurde.
Das Synagogengrundstücks Nr. 26 an der Kölner Straße wurde von den Gebrüdern Lazarus und Abraham Goldstein der jüdischen Gemeinde übertragen. Hier hatte die Gemeinde im Hinterhof anstelle eines Stalles das Synagogengebäude errichtet. Pläne eines repräsentativen Neubaus der Synagoge des Bezirks konnten jedoch nicht realisiert werden, auch weil die zum Bezirk gehörenden jüdischen Gemeinden in Gindorf/Gustorf, Neurath-Frimmersdorf, Wevelinghoven, Hemmerden-Kapellen und in Hülchrath nicht nur ein reiches jüdisches Leben, sondern alle auch eigene Synagogen besaßen.
Antisemitische Verfolgungen infolge von vorgeblichen Ritualmordbeschuldigungen im 19. Jahrhunderts, im Sommer 1892 sogar verbunden mit tätlichen Übergriffen auf Synagogen, deren Gemeindemitglieder und Brandstiftungen an jüdischen Häusern, trugen jedoch bereits zum Rückgang dieses synagogalen Lebens bei. Doch nach der Jahrhundertwende wurde das Vorderhaus der Synagoge an der Kölner-Straße Nr. 26 niedergelegt, so dass sie nun ihren „Hinterhofcharakter“ verlor und auch Bestandteil der Innenstadtsilhouette an der Kölner Straße wurde.
Mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung ab 1933 waren die Gemeinden schließlich schon vor der „Reichskristallnacht“ gefährdet. Bereits kurz nach der Machtergreifung versuchten Nationalsozialisten, die Synagoge heimzusuchen, wurden jedoch damals noch von mutigen Nachbarn daran gehindert. Anders dann im Jahr 1936: die Synagoge wurde überfallen, die Thorarollen geschändet und in die Erft geschmissen. Jüdische Gemeindemitglieder wurden gedemütigt, in die Erft getrieben und mussten die Thorarollen wieder aus der Erft herausholen. Die Rollen sind dann nach traditionellem Ritus auf dem jüdischen Friedhof in Grevenbroich beigesetzt worden. Damals wurden dann noch neue Thorarollen in der jüdischen Gemeinde in Darmstadt und benachbarten Synagogengemeinden des Kreises Grevenbroich angefragt und auch beschafft. Noch glaubte man trotz aller antisemitischer Verfolgung an eine Existenz in Deutschland.
Im Frühsommer des Jahres 1938 erkannten die nationalsozialistischen Machthaber dann den jüdischen Gemeinden den privilegierten Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts ab und zwangen die Gemeinden, sich als privatrechtliche Vereine zu konstituieren.
Im Zuge der reichsweiten Schändung der Synagogen in der „Reichskristallnacht“ des 9. Novembers 1938 und dem inszenierten, als „Volkszorn“ getarnten, aber tatsächlich straff organisierten Pogrom kam schließlich auch das endgültige Aus. Obwohl die Benzinfässer schon herbeigeschafft waren, wurde sie auf Intervention einer Nachbarin nicht in Brand gesetzt.
Nicht aus Respekt vor dem Gotteshaus, sondern in Sorge um die Inbrandsetzung des Fachwerks ihres eigenen Hauses. Dennoch wurde die Synagoge geschändet, die Thorarollen und liturgisches Gerät auf die Straße geschmissen sowie die jüdischen Nachbarn heimgesucht, ihre Wohnungen demoliert und sie selbst misshandelt. Moritz Hertz, dessen Sohn für sein Vaterland Deutschland gefallen war und der sich bis zuletzt als Vorsteher um die Synagoge gekümmert hatte, soll die geschändete Synagoge besichtigt haben, nach Hause gegangen sein und die Wohnung nicht mehr verlassen haben. Am 20. November 1938 verstarb Moritz Hertz in seiner Wohnung – er soll nach dem 9. November kein Wort mehr gesprochen haben und ist wohl im wahrsten Sinne des Wortes an „gebrochenem Herzen“ gestorben.
Die geschändete Synagoge auf dem Grundstück an der Kölner Straße erinnerte noch einige Monate jeden Passanten der Innenstadt daran, was in jener Nacht geschehen war. Erst Anfang Februar 1939 ergingen die Richtlinien für den Abriss der Ruinen von Synagogen durch Reichsministerien, woraufhin der Stadtrat von Grevenbroich noch im selben Monat den Beschluss fasste, das Synagogengrundstück anzukaufen.
Wahrscheinlich wies der Grevenbroicher Landrat am Mitte April 1939 auf diese Richtlinien hin, doch im Sommer gab es nur Ankündigungen der Stadt, eine Verbindungsstraße zwischen „Altstadt“ zum neuen „Schlossviertel“ mit Schwimmbad und Sportplatz – beides NS-Prestigeprojekte – zu schaffen. Umgesetzt wurde diese Ankündigung nicht. Erst als dieser eine Berichterstattung darüber anforderte, reagierte das Grevenbroicher Bürgermeisteramt: Anfang Dezember 1939 wurde damit begonnen, den „Schutthaufen, der von der Grevenbroicher Synagoge übriggeblieben war“, zu beseitigen, wie es in der Propaganda hieß.
Mit Spruchbändern über die „Schönheit“ des neuen Platzes in der Altstadt Grevenbroich und Presseberichten verhöhnte man noch die wenigen hier verbliebenen Grevenbroicher Juden und benannte die Straße Anfang 1940 in „vom-Rath-Straße“ nach dem Opfer des Attentates, das Anlass für die Inszenierung der „Reichskristallnacht“ als vermeintlicher „Racheakt“ und „spontane“, in Wirklichkeit aber inszenierte „Volkswut“ gegen alle Juden in Deutschland war.
Die Erinnerung an die ehemalige Synagoge war durchaus nicht selbstverständlich. Erst 1978/79, vierzig Jahre nach der „Reichskristallnacht“, wurde unter Bürgermeister Hans Wattler eine Gedenkplatte zur Erinnerung an die jüdische Synagogengemeinde angebracht, die von Bonifatius Stirnberg geschaffen wurde. In den 80er Jahren wurde der Platz dann „Zünfteplatz“ benannt, nachdem ein weitere Stirnberg-Kunstwerk, das die Zünfte thematisierte – die „Zünftesäule“ – dort aufgestellt wurde.
Im Nachgang zum 50sten Jahrestag des Novemberpogroms setzte sich eine Bürgerinitiative um Dr. Lisa Gelius-Dietrich und meine Person dafür ein, den Platz umzubenennen. Doch erst Anfang der 90er Jahre war das Bewusstsein um die historische Dimension des Platzes soweit gediehen, dass Bürgermeister Hans-Gottfried Bernrath dem Stadtrat empfahl, den Standort der „Zünftesäule“ auf die Wallgasse zu verlegen, da die mittelalterlichen Zünfte nur christlichen Handwerkern offenstanden und Juden explizit aus diesen Gemeinschaften ausgeschlossen waren. Und es dauerte noch einmal mehrere Jahre, bis der „Zünfteplatz“ dann in „Synagogenplatz“ umbenannt wurde“. Der Umgang mit der Namensgebung sowie die unzähligen Ortswechsel der Gedenkplakette seit 1978 lassen aber schon erahnen, dass der Umgang mit der Geschichte dieses Platzes nicht immer einfach war…
Wohin der Novemberpogrom in letzter Konsequenz führte, wissen wir heute: zum Holocaust, der Ermordung von sechs Millionen Menschen, darunter alleine über 200 aus Grevenbroich. An Sie erinnern keine Grabinschriften, aber Stolpersteine oder Gedenksteine zum Beispiel in Hemmerden, Hülchrath oder in Wevelinghoven, speziell an die ermordeten Kinder. Doch eine zentrale Stelle, an der den namenlosen Grevenbroicher Opfern Namen und Identität zurückgegeben wird, gibt es nicht. Seit 1988 hat deshalb der „Arbeitskreis Judentum“, seinerzeit noch gemeinsam mit der Hemmerdener Holocaust-Überlebenden Marianne Stern-Winter, jedes Jahr gemeinsam mit weiterführenden Schulen Grevenbroich an die Namen der Holocaustopfer Grevenbroichs erinnert.
Der Synagogenplatz bietet sich geradezu für ein zentrales Gedenken an, um den Holocaust-Opfern aus Grevenbroich Namen und Identität zurückzugeben. Er wäre ohne die schrecklichen Ereignisse des Pogroms der „Reichskristallnacht“ nicht denkbar. Der rechteckige Zuschnitt des Platzes macht mehr als deutlich, dass es sich eigentlich um eine Grundstücksparzelle handelt. Er ist insoweit alles andere als ein historisch gewachsener Platz, der seinen ursprünglichen Charakter als Parzelle der jüdischen Gemeinde nicht leugnen kann.
Gleichzeitig muss der mittlerweile in über 50 Jahren gewachsenen Platzstruktur und seiner Funktion als Teil der Innenstadt mit seinen Geschäften und Anliegern Rechnung getragen werden. Deshalb kann eine geschichtsbewusste und der Jetzt-Zeit angepassten Gestaltung des Platzes nicht durch eine alleine dominierende Erinnerung an seine ursprüngliche und auch nicht mehr vorhandene Nutzung bestimmt werden, sondern muss allen Dimensionen dieses Platzes gerecht werden!
Auch jüdisches Leben war integrativer Bestandteil des städtischen Lebens und Teil der Stadtsilhouette Grevenbroichs. Moritz Hertz, über Jahrzehnte nicht nur Synagogenvorsteher, sondern auch engagierter Einzelhändler in der Innenstadt, gehörte als Mittelstandsvertreter in den 1920er Jahren sogar dem Stadtrat an.
Der Rat der Stadt Grevenbroich hat im vergangenen Jahr am 10. Juni 2021 auf Initiative und in Abstimmung mit dem Geschichtsverein und dem Netzwerk der an der Erinnerungsarbeit beteiligten Schulen einen einstimmigen Beschluss zur Neugestaltung des Synagogenplatzes gefasst. So wurde bereits der Grundriss der Synagoge mit einem Davidstern im Pflaster eingelassen. Diese Markierung des früheren Synagogengrundrisses alleine wäre aber nur eine rückwärtsgewandte Betrachtungsweise, eine Reminiszenz an nicht mehr existierendes jüdisches Leben. Dies würde weder der Synagogenschändung noch dem Auslöschen jüdischen Lebens in unserer Stadt durch die Shoah gerecht. Deshalb sieht der Stadtratsbeschluss auch ein „skulpturales Denkmal“ im für die Besucher der Innenstadt sichtbaren, vorderen Eingangsbereich des Platzes vor.
Der Geschichtsverein beabsichtigt, gemeinsam mit dem „Netzwerk Gegen das Vergessen“ der an der Erinnerungskultur beteiligten weiterführenden Schulen einen Wettbewerb für Schüler, Jugendliche und junge Heranwachsende bis 27 Jahren zur Gestaltung dieses Denkmals auszuloben. Mitmachen können Schulklassen, Jugend-Einrichtungen, Einzelpersonen oder Gruppen. Die Beteiligung der künftigen Generation war auch der Wunsch der jüdischen Community. Derzeit wird durch das „Netzwerk Gegen das Vergessen“ zu Spenden für diese Skulptur aufgerufen, parallel werden öffentliche Fördermittel eingeworben.
Die Herausforderung wird sein, wie eine solche Skulptur im öffentlichen Raum die historische Dimension des Synagogenplatzes und seiner Geschichte verdeutlichen kann. Vorgabe der Gestaltung ist, dass sich auf dieser Skulptur die Namen aller über 200 in Grevenbroich geborener Holocaustopfer aus Grevenbroich verzeichnet sind. Außerdem sollte die Skulptur in einer künstlerischen Weise Bezug zu geschändeten, heute noch vorhandenen Gegenständen aus der Synagoge nehmen. Es sind dies: eine durchnässte Seite einer Tora, ein Kidduschbecher und ein Sederteller.
Zahlreiche Grevenbroicher Zeitzeugen konnten sich noch mehrere Jahrzehnte nach dem Pogrom daran erinnern, wie Gebetbücher und Seiten mit hebräischen Inschriften, „heilige Gewänder“ sowie liturgische Geräte auf der Straße lagen, als der St. Martinszug am anderen Tag durch die Kölner Straße zog.
Eine fachkundige Jury soll sich mit den Entwürfen der Jugendlichen auseinandersetzen und in einem Workshop mit einem Künstler Realisierungsmöglichkeiten erarbeiten.
Ulrich Herlitz,
Vorsitzender Geschichtsverein Grevenbroich