„Die Zukunft sieht düster aus“: Bald Hausärzte-Mangel in der Gemeinde?
Jüchen · „Wir möchten, dass für jeden in der näheren Umgebung ein Hausarzt erreichbar ist und dass die Wartezimmer nicht immer voller werden“, so Sebastian Heckhausen, Vorsitzender des CDU-Gemeindeverbandes.
Denn gerade in Zeiten der Grippewelle ist es sogar für die Redaktion verdammt schwer einen Arzt an die Strippe zu bekommen. Deshalb lädt die CDU zu einer öffentlichen Veranstaltungen zum Thema „Zukunft der hausärztlichen Versorgung“ mit Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, ein.
„Ich wollte schon im Kindergartenalter Arzt werden, so ein richtiger Landarzt. Mein Vorbild war vermutlich unser damaliger Hausarzt Dr. Nussbaum aus Neukirchen, der ein sehr imponierender Mann war. Ob es daran lag – ich weiß es nicht. Obwohl ich in Grevenbroich geboren und aufgewachsen bin, hing und hängt mein Herz an Neuenhoven, da ich als Kind mit meinem Bruder immer die Ferien hier bei unserem Opa verbracht habe“, berichtet Dr. Johannes Sieben, „irgendwann kam der Gedanke, hier auf dem Lindenhof die Praxis zu machen. Wohnen und arbeiten und leben auf dem gleichen Grundstück. Mein Vater hatte seine Anwaltskanzlei auch in meinem Elternhaus, und so waren beide Eltern immer für uns da. So wollte ich es für meine Kinder auch. Und es war gut so. Keine meiner Entscheidungen habe ich jemals bereut und würde es immer wieder genauso machen.“ Seit 31 Jahren ist er nun schon Hausarzt in Neuenhoven. 11 weitere Mediziner gibt es in der Gemeinde. „Der sich durch die Bedarfsplanung des Gesetzgebers statistisch ergebende Versorgungsgrad des Mittelbereiches liegt momentan bei rund 99 Prozent. Gemessen an diesen Zahlen ist die allgemeinärztliche Versorgung im Planungsbereich formal als gut zu bezeichnen, wobei die Versorgungsgrade wie gesagt zunächst eine rein statistische Größe bilden“, findet Christopher Schneider von der Kassenärztlichen Vereinigung. Und über die genaue zukünftige lokale Entwicklung der hausärztlichen Versorgung könne im Detail keine seröse Prognose abgegeben werden, da im Zusammenhang mit Praxisweitergaben viele schwer kalkulierbare Faktoren eine Rolle spielen würden.
Der Arzt vor Ort sieht das aber ganz anders. „Die Zukunft sieht düster aus. Es sind ja schon Praxen mangels Nachfolger geschlossen worden. Die meisten Kollegen sind weit über sechzig und werden in den nächsten Jahren aufhören. Junge Kollegen zu finden ist sehr schwer, da niemand die Verantwortung und die Arbeit einer Hausarztpraxis übernehmen will. Junge Kollegen wollen Zeit für die Familie und Freizeit haben. Das bekommen sie eher als Angestellte in den neuen MVZ oder aber im Ausland. Das alles ist ja seit Jahren bekannt und nicht jetzt erst plötzlich entstanden. Wenn die Politik jetzt plant, mehr Hausärzte auszubilden, kommt das doch viel zu spät, Jahrzehnte zu spät. An der Gesamtsituation ändert es gar nichts. Es schönt höchstens wieder einmal die Statistiken. Das ganze System ist völlig überholt und überbürokratisiert“, schüttelt Dr. Sieben den Kopf, „meines Erachtens ist das Sterben der Einzelpraxen und vor allem der Hausarztpraxen seit vielen Jahren politisch gewollt, auch wenn jetzt anders geredet wir. Warum stehen Hausärzte mit ihrem Honorar am Ende aller Fachärzte? Warum bekommen Mehrfachpraxen im Vergleich zur Einzelpraxis einen Kooperationszuschlag, der immerhin zehn Prozent pro Patient ausmacht? Es gibt da viele Ungereimtheiten.“
Für Heckhausen und den CDU-Gemeindeverband Grund genug Laumann in Jüchen einzuladen.
„Mit Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann wollen wir diese Herausforderungen offene thematisieren und diskutieren. Dabei erhoffen wir uns natürlich auch Lösungen oder Lösungsansätze, wie Jüchen diese Probleme mit anderen lösen kann. Was kann Jüchen tun, um der Sache Herr zu werden? Auch vor dem Hintergrund, dass wir Stadt werden wollen und damit auch (gerade in der Einwohnerzahl) weiter wachsen möchten...“, erklärt Heckhausen weiter. Zu dieser Diskussion ist jeder am Dienstag um 19 Uhr ins „Haus Katz“ eingeladen. „Gerade für ländliche Gemeinden (wie Jüchen) wird es im Rahmen des demografischen Wandels zu einer Herausforderung, den aktuellen Stand der medizinischen beziehungsweise hausärztlichen Versorgung zu halten. Neben der Bevölkerung werden natürlich auch die Ärzte durchschnittlich älter und gehen Schritt für Schritt in den Ruhestand, immer öfter auch ohne Nachfolger für die Praxis“, so Heckhausen weiter. Dr. Johannes Sieben denke aber noch lange nicht in den Ruhestand zu gehen: „Auch ich werde oft gefragt, wie lange ich denn noch arbeiten will. So lange ich noch fit bin und Lust habe, ist meine Antwort. Das kann sich aber manchmal schnell ändern. Die Leute haben schon Angst, sich einen neuen Hausarzt suchen zu müssen. Man muss auch erst mal einen finden, weil die restlichen Praxen in Jüchen alle am Limit arbeiten und nicht alle Patienten einer aufgegebenen Hausarztpraxis aufnehmen können. Ich hatte letztes Jahr beinahe eine Nachfolgerin, mit der ich mich auch sehr gut verstanden habe. Aus familiären Gründen – Kinder – ist sie mir dann aber abhanden gekommen.“ Doch woran liegt es, dass es junge Kollegen nicht aufs Land zieht? „ Die Bürokratie ufert immer weiter aus, wie überall. Meist ist man Einzelkämpfer, die Bevölkerung überaltert immer mehr und dann sind die Wege zu den einzelnen Hausbesuchen weit. Die Bezahlung dafür könnte auch besser sein. Ich will hier aber nicht in das Kollektivgestöhne der Ärzte einstimmen, denn man kann von so einer Praxis durchaus gut leben. Es erfordert jedoch auch viel Einsatz. Junge Leute zieht es mehr in die Städte, weil sie da auch nach Feierabend noch etwas unternehmen können. Hier auf dem Land gibt es ja abends nichts, in den meisten Orten noch nicht mal mehr eine Kneipe“, so Dr. Sieben.
Alina Gries