Viel interner Beratungsbedarf und ein dickes Lob für den Bürgermeister Fraktionsspitze der SPD will sich zum neuen Markt bald positionieren
Jüchen · Erst noch im vergangenen Jahr trat Holger Tesmann bei der Bürgermeisterwahl gegen Harald Zillikens an. Seitdem ist es etwas still geworden um die sozialdemokratische Partei. Nun waren Fraktionsvorsitzender Holger Witting, der nebenbei Lehrer im Fachbereich Chemie und Informatik ist, und Reiner Lange, der schon etwa 32 Jahre der Partei angehört und ebenfalls Lehrer ist, in der Redaktion zu Besuch.
Alina Gries und Gerhard Müller haben sich mit ihnen über die Haltung zur CDU, Pläne in der Gemeinde und den Aspekt der Stadtentwicklung unterhalten.
Was hat die SPD für die Gemeinde geplant?
Witting: Die SPD hat die Umsetzung des Programms "Gute Schule 2020" im Gemeinderat beantragt. Unser Antrag wird morgen im Schulausschuss beraten. Mit einer Förderung von 300.000 Euro jährlich würden wir gerne in die digitale Ausstattung der Schule investieren. Beispielsweise mit Breitband-anbindungen wie digitale Tafeln oder Unterrichtsmedien. Alleine ein digitales Board kostet etwa 5.000 Euro. Außerdem sind häufig die sanitären Einrichtungen an den Schule nicht gut, sodass hier eine Grundsanierung anfallen wird.
Lange: Die Ausstattung der Schulen sind insgesamt gut, weil die Gemeinde sehr gut investiert. Auch die Umsetzung der Sekundar- in die Gesamtschule wird sowohl räumlich als auch finanziell prima von der Gemeinde unterstützt.
Wie sieht es mit dem Haushalt aus?
Witting: Durch den Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen haben wir einen Defizit von fünf Millionen Euro. Für unsere Fraktion ist aber eine finanzielle und vor allem nachhaltige Entwicklung sehr wichtig. Darüber, dass wir nicht mehr im Haushaltssicherungskonzept sind, sind wir sehr froh. Nun müssen wir aber aufpassen, dass wir nicht in wenigen Jahren wieder ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen müssen.
Wie ist Ihre Haltung zur CDU und vor allem zum Bürgermeister Harald Zillikens?
Lange: Wir sind insofern mit dem Bürgermeister zufrieden, dass er der erste Bürgermeister ist, der offen für die Vorschläge der SPD ist und sie auch aufnimmt. Bisher war es immer so gewesen, dass unsere Vorschläge zunächst geblockt und dann von der CDU eingebracht wurden.
Welches Beispiel liegt denn vor, dass der Bürgermeister seitens der SPD in der Gemeinde umgesetzt hat?
Lange: Zum Beispiel unser Vorschlag für eine familienfreundliche Kommune oder dem Ausbau von den KiTas. Und auch durch die neue Wirtschaftsförderin; wir haben mit Annika Schmitz eine professionelle Person dazubekommen. Außerdem ist Zillikens im Strukturwandel gut aufgestellt. Wenn der Tagebau Richtung Erkelenz weiterzieht, dann stehen viele Flächen zum Verkauf.
Wie viele Stimmen würde ihrer Meinung nach derzeit die AfD in der Gemeinde Jüchen bekommen?
Lange: Da gibt es den Problembereich Bedburdyck, wo ein Flüchtlingsheim gebaut werden sollte. Aber das ist auch der einzige Ort, in dem sich Widerstand regt.
Die Flüchtlingspolitik ist gut gelungen, sodass in der Gemeinde eher eine geringe Problemlage herrscht. Die Stimmungslage bei den Bürgerversammlungen ist auch immer gut, nur ist es wie bei "Glaskugelleserei" — es gibt Personen, die sich dann mit Sicherheit nicht melden.
Woran möchte die SPD noch in der Gemeinde arbeiten?
Witting: An der Lärmbelästigung. Es gibt sie an allen möglichen Standorten. In Gierath wegen der Motorräder, in Jüchen an der B59, in Aldenhoven und natürlich auch die K19 in Otzenrath und Hochneukirch.
CDU und FDP setzen sich jetzt für eine Veränderung an der K19 ein. Warum hat die SPD nicht reagiert?
Witting: Wir hatten bereits als erstes mit den zuständigen Personen gesprochen und hatten es bereits im Gemeinderat angekündigt — nur haben wir das im Gegensatz zu CDU und FDP leider nicht publik gemacht.
Wie genau möchten Sie gegen die Lärmbelästigung agieren?
Witting: Beispielsweise mit einem Tempolimit oder einem Motorradverbot in Gierath. Da sind wir schon lange dran und möchten unbedingt etwas erreichen.
Was möchte die SPD zur Stadtentwicklung beitragen?
Witting: Nächstes Jahr soll der Marktplatz verändert werden. Konkrete Pläne und Vorstellungen haben wir aber noch nicht. Natürlich möchten wir den Marktplatz vor allem durch den Einzelhandel familienfreundlich gestalten.
Lange: Es wird eine grundsätzliche Erneuerung geben. Dazu gibt es aber noch kein klares Konzept. Der Besitzer der Halle hat seine Recht noch bis 2017. Dann laufen diese aus und wir sind finanziell nicht mehr gebunden. Dadurch kann die Gemeinde freier über die Gestaltung entscheiden. Wir möchten den Einzelhandel und die vereine in die Überlegungen mit einbeziehen und mit dem örtlichen Interesse verbinden. Das Zentrum ist mit der Errichtung des Supermarktes neu zu denken und muss deshalb bei der Umgestaltung des Marktplatzes berücksichtigt werden.
Was ist denn Ihre Meinung zum Konzept, aus der Gemeinde eine Stadt zu machen?
Witting: Wir können nicht genau sagen, ob wir dafür oder dagegen sind. Die Entscheidung fällt in jedem Fall im nächsten halben Jahr. Fakt ist, dass die Aufgabe für den Gestaltungsspielraum mehr kosten wird. Daraus stellt sich die Frage woher wir die Einnahmen nehmen und wie wir den Kreis finanziell entlasten können. Vor sechs Jahren war, dass Jüchen eine Stadt werden könne auch schon ein Thema. Wir sind da sehr offen und denken es hätte für die Gemeinde einen Mehrwert und es wäre definitiv eine gute Imagepflege. Fakt ist, dass die Übernahme zusätzlicher Aufgaben, wie zum Beispiel die Übernahme der unteren Bauaufsicht, durch die wir einen größeren Gestaltungsspielraum erhielten, mehr kosten würde. Daraus stellt sich die Frage, wie wir diese Kosten finanzieren können. Wenn der Kreis Aufgaben an uns abgibt, muss er uns auch finanziell entlasten.
Viele Anwohner fürchten um den Verlust der Dörflichkeit. Wie stehen sie dazu?
Witting: Ich komme aus Aldenhoven und denke, dass es in jedem Fall ländlich bleiben wird.
Lange: Das Bevölkerungswachstum war in der Vergangenheit stetig und hat dazu geführt, dass die Gebühren für die Bürger in der Vergangenheit nur unwesentlich erhöht werden mussten, da die Infrastrukturkosten so auf mehr Bürger verteilt werden konnten. Es werden auch keine "riesigen Neubaugebiete" entstehen, da die Landesplanung vorgibt, zunächst die Innenraumverdichtung vorrangig zu betrachten. Durch einen Bevölkerungszuwuchs würde die Infrastruktur teurer werden und je mehr Bürger in der Gemeindeleben, desto mehr können sie entlastet werden. Und auch die interkommunale Zusammenarbeit mit Mönchengladbach und Grevenbroich wirken langfristigmonetär — es ist aber wichtig, dass wir zusammenarbeiten und nicht in Konkurrenz treten. Gerade wenn die Tagebauflächen frei werden, kann sich dies für die Kommunen auszahlen.
Wie ist Ihre Ansicht zum Tagebau?
Lange: Ich bin schon seit 1984 bei der SPD tätig und beschäftige mich seit Beginn mit der Braunkohle. Seitdem hat sich viel getan. So konnten wir damals noch nicht ahnen, dass ein Aussteig der Braunkohle vorliegt. Wie sich die Energiewirtschaft dadurch verändert, ist noch nicht absehbar. RWE/Rheinbraun war bisher für die Gemeinde Jüchen aufgrund der Gewerbesteuern ein starker Partner. Wie sich das in den nächsten Jahren entwickeln wird, ist heute aber noch nicht absehbar.
Ich bin gespannt, wie sich die Gemeinde entwickeln wird. Herzlichen Dank Holger Witting und Reiner Lange, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.