Das Top-Kurier-Türchen zum 2. Dezember Der Rettungswagen als Arbeitsplatz
Jüchen · Ein Streit und sie flüchtet aus der Wohnung — direkt in die Arme eines jungen Mannes, der sie besorgt mustert.
Entschuldigend, weicht sie ihm aus, wischt sich die Tränen aus ihrem Gesicht und versucht ihr Auto aufzuschließen. Völlig aufgebracht fallen ihr die Schlüssel zu Boden und sie schluchzt erneut. Reißt wütend die Fahrertüre auf, steigt ein und fährt los. Ohne zu wissen, dass dies ihre letzte Autofahrt sein wird. So könnte die Filmbeschreibung einer Tatort-Verfilmung beginnen. Doch die Realität im Rhein-Kreis sieht anders aus. "Wer denkt, der Rettungsdienst wäre so spektakulär wie im Film, liegt falsch", erklärt Kreisgeschäftsführer Olaf Beuth, "wir stehen nicht täglich bis zu den Knien im Blut."
Doch das war auch nicht der Grund, weshalb der 50-Jährige vor etwa 30 Jahren dem Malteser-Hilfsdienst beitrat. "Ein Freund von mir meinte, wir sollten den Zivildienst bei den Maltesern machen, weil es ja total cool wäre, mit dem Blaulicht zu fahren", lacht Beuth, "letztlich bin ich dann dort hängen geblieben, habe eine Ausbildung zum Rettungssanitäter gemacht und zusätzlich noch studiert. Ich habe das Gefühl, der Einsatz ist sinnvoll. Es muss schnell entschieden werden, man hat eine große Verantwortung und muss im Team zusammenarbeiten. Man verbringt mehr Zeit mit den Kollegen als mit dem Partner." Jedoch würde die Arbeit durch die gesetzlichen Auflagen zusätzlich erschwert werden.
3.000 Notfälle pro Fahrzeug werden jährlich abgehandelt — acht davon täglich. "In Jüchen ist die Anzahl deutlich weniger", sagt Rettungsdienstleiter Kay Schröder, "die städtische und ländliche Rettung erfolgt ganz anders. Die Menschen auf dem Land halten länger durch und melden sich erst, wenn es wirklich sehr schlimm ist." Dennoch haben sich die Anrufe in den vergangenen 30 Jahren fast verdoppelt. "Die Hemmschwelle ist nicht mehr so hoch wie früher", sagt Schröder, "wenn sich beispielsweise jemand in den Finger geschnitten hat, wurde früher nie der Notruf gewählt — jetzt allerdings schon. Das bedeutet, die Anzahl der Notrufe steigt, die Zahl der Notfälle jedoch nicht. Wir wurden sogar einmal gerufen, weil der Patient keine Lust hatte, in der Ambulanz zu warten", so Beuth.
Doch vor allem die Anrufe wegen sozialer Notfälle würden sich häufen. "Das bringt der Beruf eben mit sich", meint Beuth, "wir erleben aber auch Menschen in Extremsituationen wie zuletzt in Neuss, als ein Mann seine Ehefrau und zwei Kinder ermordet hat." Aber auch bei dem Flughafenbrand in Düsseldorf, der sich in diesem Jahr zum 20. Mal gejährt hat, wird der Malteser-Hilfsdienst überregional einberufen. "Dagegen sind Schlägereien überhaupt nicht tragisch", meint Beuth. Welche Art der Notfälle am schlimmsten seien, könne er nicht beantworten.
Doch der Beruf bringe nicht immer nur Tragik und schlimme Ereignisse mit sich. "Wenn eine Geburt im Rettungswagen oder in der Wohnung stattfindet, ist das eine erfreuliche Sache", sagt Schröder, "oder wenn jemand an einer Unterzuckerung leidet und man noch rechtzeitig eintrifft, um ihm Glukose zu verabreichen und zu sehen, dass es dieser Person dann gut geht."
Kollege Kay Schröder ist ebenfalls durch den Zivildienst in den Kontakt mit dem Rettungsdienst gekommen. "Erst habe ich eine handwerkliche Ausbildung abgeschlossen und wollte mich dann für acht Jahre dem Katastrophenschutz verpflichten", meint er, "ich habe nie geplant beim Malteser-Hilfsdienst zu landen. Aber dort war ein Platz frei." Nun ist der 42-Jährige schon über 16 Jahre dabei. Dabei müssen er und seine Kollegen sich seit neuestem vieles in ihrem Beruf gefallen lassen.
Olaf Beuth: "Heutzutage nimmt die Gewalt auch gegen Rettungskräfte zu. Einige unserer Mitarbeiter wurden bereits schon angegriffen und im Einsatz verletzt." So wurden bundesweit bereits an einigen Standorten stichsichere Westen eingeführt. "Wir nehmen regelmäßig an einem Deeskalationstraining mit ehemaligen Polizeibeamten teil", sagt Beuth, "damit sich unsere Kollegen bei einem zuspitzenden Ereignis selbst verteidigen können."