Politischer Aschermittwoch: „Das Volk sind doch sechzig Millionen Einzelinteressen“

Auch in direkter Nachbarschaft der Stadt Grevenbroich wird ein aktueller Landestrend deutlich: Es wird immer schwerer, Kandidaten für die Kommunalparlamente und für das Amt des Bürgermeisters zu finden. Klaus Krützen tritt im September wieder an. Auch er hat mit der Entscheidung gerungen. Mit der Redaktion des Erft-Kurier führte er ein ganz offenes Gespräch.

Bürgermeister Klaus Krützen gibt zu: Sein Job ist nicht immer vergnügungssteuerpflichtig.

Grevenbroich. Früher sei das Amt des Bürgermeisters mit einer hohen Reputation verbunden gewesen. Heutzutage bedeute es dagegen eher Stress und Shitstorms. Kein Wunder also, überlegt Klaus Krützen, dass es immer schwerer falle, Leute für eine Kandidatur zu gewinnen.

„Es ist ein Problem, dass die Leute immer weniger bereit sind, sich für die Demokratie zu engagieren“, beobachtet der Bürgermeister. Immerhin habe es die SPD geschafft, alle Grevenbroicher Wahlkreise zu besetzen. „Aber da musste der Vorsitzende sich schon ordentlich umschauen.“

Und Krützen erkennt auch Gründe: „Die Leute wollen sich nicht langfristig für Parteien, sondern kurzfristig für Projekte engagieren.“ Das sei der Lauf der Dinge. Das sei aber auch schwierig für die Demokratie insgesamt.

Auch wenn man dem „deutschen Michel“ ein gewisses Maß an Trägheit nachsage, könne das nicht der eigentliche Grund sein. „Da spricht das große ehrenamtliche Engagement in unserer Stadt dagegen.“

Viel wichtiger sei, dass der Egoismus in der Gesellschaft deutlich zugenommen habe. „Erst einmal achtet man auf sich und auf seine Bedürfnisse. Ein bisschen mehr Altruismus wäre angesagt“, postuliert der Rathaus-Chef.

Während die Verwaltung eher „leidenschaftslos vorgehe“, sei es Aufgabe der Politik, „Beschwerden der Anwohner in Relation zum Allgemeinwohl“ zu setzen. Denn stets gebe es auch die berühmte „schweigende Mehrheit“, die von den Einzelinteressen ebenso berührt werde.

Aber noch ein anderer Umstand erschwere die politische Arbeit: „Jeder ist auf einmal Experte“, wundert sich Klaus Krützen über so manche Reaktion aus der Bürgerschaft. Für die Politiker liege die „Expertise bei den hohen Beamten“ in den Verwaltungen, wobei er die Linie einheitlich von den Bundes- und Landes-Ministerien bis ins Grevenbroicher Rathaus zieht.

Vom Gegensatz „die da oben, und das Volk da unten“ hält der Bürgermeister überhaupt nichts. „Das Volk sind doch 60 Millionen Einzelinteressen (Anmerkung: Gesamtbevölkerung ohne die Kinder). Die Parteien können das nicht mehr abdecken.“

Das sei eine Entwicklung, die nicht weg zu diskutieren sei. Die die politische Arbeit aber so schwer mache. Und dann seufzt er: „Wie wird einem (auf allen Politik-Ebenen) gedankt? Aus meiner Sicht überhaupt nicht.“ Antrieb könne es da nur sein, sich gegen den Trend stemmen zu wollen. Die Gesellschaft ein wenig besser machen zu wollen.

Diesem Antrieb werden bei den Kommunalwahlen im September wieder viele Bürger folgen, die zu Kandidaten werden. 50 von ihnen werden dann am Ende in den Stadtrat einziehen. In der aktuellen Zusammensetzung hat sich in der laufenden Wahlperiode die Arbeit als zäh erwiesen. „... das wird nach den Wahlen nicht besser sein“, mutmaßt der Bürgermeister.

Gerhard Müller