Der Landrat zum Erft-Hochwasser „Wir haben mehr als Glück gehabt“

Neuss · „Bei uns wäre im Zweifel das Wasser gekommen, aber nicht der Schlamm.“ Landrat Hans-Jürgen Petrauschke formuliert bei seiner Rückschau auf die Hochwasser-Katastrophe der Erft klar und hart. Das Grevenbroich noch einmal davon gekommen sei, hat seiner Meinung nach zwei Gründe: Die gute Arbeit, die der Erft-Verband geleistet hat. Und — so traurig es ist — dass die Erft sich in Erftstadt „ausgetobt“ hat...

Die Karte des Erft-Verbandes zeigt in Hell- bis Dunkelblau die Überflutungsgebiete der Erft im Stadtgebiet. Die dunkelblauen sollen demnach „einmal im Jahrhundert“ betroffen sein...

Foto: KV/Repro KV

Dabei ist der Landrat nicht immer so sachlich, wenn er über die Flut an Erft und Ahr spricht. Immerhin ist auch seine Tochter betroffen: Deren Freundin ist an der Ahr im eigenen Keller ertrunken. Und so mancher Bericht, den Petrauschke von Rettungsdiensten aus dem Rhein-Kreis bekommen hat, die vor Ort Hilfe geleistet haben, lässt einem hart den Atem stocken.

Selbstverständlich aber muss Hans-Jürgen Petrauschke als Behördenleiter in die Zukunft schauen. Die entscheidenden Fragen: Wie sieht die Bedrohungslage zwischen Neurath und Neuss aus? Was kann zum vorausschauenden Schutz getan werden? Und was kann aus dem Nicht-Funktionieren der Warnsysteme an Erft und Ahr gelernt werden?

Der Erft-Verband, der übrigens alle 20 Minuten den Pegelstand des Flusses vermeldet, hat Karten, in denen die denkbaren Überflutungsgebiete gekennzeichnet sind. Dunkelblau sind die markiert, die nur bei einer „Jahrhundertflut“ betroffen sein sollen. Mittlerweile gibt es viele Fachleute, die diesen Begriff allerdings für zu verharmlosend halten...

„Überflutungsgebiete lassen sich abschätzen. Starkregenereignisse sind immer Zufall“, erläutert Petrauschke. So könne man sich im Katastrophenschutz auch „nur grob“ vorbereiten.

„Unsere Landschaft ist flacher. Wir haben keine Täler, in denen sich eine Flut aufbauen kann“, so der Landrat weiter. Das bedeutet zum einen, dass sich das Hochwasser in der Fläche verteilen kann. Ein Effekt, der durch die Renaturierung der Erft (Mäandrierung und angrenzende Auenflächen) noch unterstützt wird.

Zum anderen seien im Rhein-Kreis keine Schlammwellen zu erwarten. Der sei aber in den betroffenen Gebieten an Ahr und Erft eines der Hauptprobleme. „Wasser kann man abpumpen; Schlamm aber wird mit der Zeit hart wie Beton.“

Diese „Auslaufflächen“ für die Erft, die im Süden des Kreises und auch im Bedburger Bereich schon initiiert wurden, sollen in den nächsten Jahren auch für den Bereich von Wevelinghoven bis zur Mündung etabliert werden. „Wieder etabliert“, muss es dabei heißen. In grauer Vorzeit waren just diese „Auenlandschaft“ prägend für die heimische Region.

Bleibt die Frage nach der Warnung der Bevölkerung. „Das Handynetz ist zusammengebrochen. Sirenen brauchen Strom, um zu funktionieren. Und was wäre gewesen, wenn beim Heulton der Sirenen die Menschen auf die Straßen gerannt werden?“, fragt Landrat Hans-Jürgen Petrauschke.

Er macht damit deutlich, dass er auf diese Frage noch nicht die passende Antwort kennt. Ja, die „NINA“-App habe schon Tage vorher gewarnt. „Es war uns klar, dass Starkregen kommt. Die Menge, der Abfluss — das war unklar“, so Petrauschke weiter. Und er nennt ein Beispiel: In Rheinland-Pfalz seien die Anwohner der Ahr, die bis zu 50 Metern rechts und links des Flusses wohnen, aufgefordert worden, die Häuser zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. „200 Meter rechts und links wären aber nötig gewesen“, so der Landrat.

Und: „Eine vier Meter hohe Flut konnte man sich dort vorstellen. Eine acht Meter hohe, in kurzer Zeit und mit Schlamm, da hat keiner mitgerechnet.“ Die Natur sei im Katastrophenfall nun einmal unberechnenbar. Und alle Schutzmaßnahmen könnten nur vom bisher Dagewesen ausgehen. Eine Vollkasko-Versicherung gebe es nicht ´...

Gerhard P. Müller

(Gerhard Müller)