Den Stress einfach wegschießen „Denn es geht um Höheres“
Grevenbroich · Bogenschießen ist der krasse Gegenentwurf zur Hektik des Alltags. Und womöglich erfreut sich die Sportart deshalb gerade in diesen unruhigen Zeiten steigender Beliebtheit. Rund zehn Mitglieder zählt die Abteilung beim TK Grevenbroich, Frauen, Männer, Jugendliche – eine bunte Truppe. Wettkampf interessiert sie nicht, es geht um Höheres.
Atmen. Ganz ruhig. Den Kopf abschalten und versuchen, an nichts zu denken. Pfeil in den Bogen legen. Spannen, bis die Finger die Wange berühren. Locker bleiben, nicht verkrampfen, eins werden mit dem Sportgerät und mit der Umgebung. Auf den richtigen Moment warten und dann: loslassen. Klingt kinderleicht und sieht auch so aus, braucht aber zur perfekten Ausführung eine Menge Übung. Dafür, dass Simone an diesem himmelblauen Muttertags-Sonntag erst zum zweiten Mal beim Training ist, klappt es bei ihr schon richtig gut. Mit einem satten „Plopp“ trifft der Pfeil auf eine der beiden aufgestellten Scheiben, hinter denen sich sicherheitshalber noch ein Fangnetz befindet. Kein Treffer ins Schwarze zwar, doch darauf kommt es gar nicht an.
„Ich habe schon unheimlich lange mit diesem Sport geliebäugelt“, erzählt die Frau mit den langen roten Haaren, die von einer schwarzen Baseball-Kappe gebändigt werden, „und es macht wirklich großen Spaß. Man kann dabei prima loslassen, nicht nur den Pfeil, sondern auch im Kopf.“ Und genau darum geht es hier.
Die Bogenschützen des TK Grevenbroich sind eine sympathische Amateurtruppe, die nicht den Kitzel des Wettkampfs sucht, sondern das genaue Gegenteil: Ruhe und Entspannung. Angeleitet werden sie dabei von Trainerin Anne Schneemann (Foto oben), die im richtigen Leben als Gärtnermeisterin arbeitet und vor drei Jahren dem Bogensport verfiel. „Ich habe damals einen Kurs gemacht und war sofort begeistert“, erzählt sie.
Anschließend fackelte sie nicht lange, kaufte sich ihren ersten eigenen Bogen, suchte einen Verein mit entsprechendem Angebot und wurde beim TK Grevenbroich fündig. Schon nach einem halben Jahr übernahm sie das Amt der Trainerin und betreut derzeit rund zehn Mitglieder, die jeden Sonntag zwischen 12 und 14 Uhr auf dem Vereinsgelände am Clubhaus an der SchlossStraße die Pfeile fliegen lassen. Im Winter ziehen sie in die Halle um. Danach gefragt, was den Bogensport für sie so faszinierend macht, kommt auch Anne Schneemann nicht ohne die Begriffe Ruhe, Meditation und Entspannung aus.
Doch ein weiterer Aspekt spielt für sie eine bedeutende Rolle. „Ich mag das Material“, sagt sie. Das gibt es, wie sich versteht, in unterschiedlich sten Ausführungen und Preisklassen, für Rechts- und Linkshänder, für Große und Kleine, Kräftige und nicht ganz so Kräftige. Eine Wissenschaft für sich. Der Verein besitzt so genannte „Recurve-Bögen“ aus einem Holz-Laminat-Mix. Die Pfeile bestehen aus Carbon und wiegen fast nichts. Auch hier existieren erhebliche Unterschiede bei der Länge, der Steifigkeit und der Befiederung.
„Viele kaufen sich, wie ich damals, schon nach kurzer Zeit einen eigenen Bogen“, erzählt Anne Schneemann. Denn merke: Wer einmal Blut geleckt hat, der bleibt in der Regel dabei. Zumal bei der Gruppe des TK Grevenbroich, die jeden mit offen Armen empfängt und ein herzliches, familiäres Miteinander pflegt. Gemeinsame Aktivitäten wie das Parkour-Schießen in der Eifel oder der Pfeilbaukurs stärken den Zusammenhalt zusätzlich. Darüber hinaus gibt es eine gute Einbindung in den Gesamtverein. „Funktioniert super“, sagt Anne Schneemann.
Was sich beispielsweise zuletzt beim Tag der offenen Tür gezeigt habe, wo die Bogenabteilung mit einem eigenen Stand vertreten war und sich über mangelndes Interesse nicht beklagen konnte.
Besonderes Lob erhält kommissarischer Vorsitzender Simon Diehl, der ganz nah an der Abteilung dran sei und immer ein offenes Ohr habe. Da bleiben am Ende keine Wünsche mehr offen, abgesehen von dem, noch viele weitere Menschen für das Bogenschießen zu begeistern. „Es ist ein wirklich schöner Sport“, sagt Anne Schneemann, „den ich nur jedem empfehlen kann.“
Simone muss nicht mehr überzeugt werden. Auch ihre zweite Trainingseinheit beendet sie mit einem seligen Lächeln auf dem Gesicht. Den Wochenstress hat sie einfach weggeschossen.