Boule – ein Sport und noch viel mehr Lebesart
In der späten, aber dennoch warmen Septembersonne treffen sich im Schatten einiger gar nicht so alter Bäume ein paar Herren im „gesetzteren Alter“. Sie stehen und sitzen am Rande eines kleinen Aschenplatzes.
Die Stimmung ist locker; es wird viel gefrotzelt. Ein letzter Schluck aus der mitgebrachten Thermosflasche und dann geht es auf den Platz. An der gegenüberliegenden Seite stehen ein paar Zählbretter; alte Eisenbahnschwellen umrahmen ihn. Auf einmal fliegen die Eisenkugeln; es geht darum, Mannschaften zu bilden. Boule in Priesterath. Sport. Und aus Frankreich importierte Lebensart.
Priesterath.
Den „Boule-Freunden Priesterath“ geht es bei den regelmäßigen Treffen mittwochs und sonntags auf dem kleinen Platz am Rande der Garzweiler Allee um Sport, aber nicht nur um Sport. „Du spielst, unterhältst dich, diskutierst, lernst den anderen kennen“, formuliert es Jürgen Melzer. Es wird also viel kommuniziert. Streit gebe es dabei keinen. Noch nicht einmal darüber, wessen Kugel besser liegt.
Zur Erinnerung: Beim Boule (oder Petanque) wird ein „Schweinchen“ (eine kleine Kugel) aufs Feld geworfen. Gewonnen hat die Mannschaft, die eine ihre Kugeln am nächsten an diesem „Schweinchen“ platzieren kann. Man kann versuchen, seinen Wurf zu „legen“ (möglichst nah am Ziel ausrollen zu lassen). Oder man versucht, gut platzierte gegnerische Kugeln wegzuhauen. Gespielt wird übrigens auf einem Aschenplatz. Mit Blick auf die Boule-Spieler aus Orken, die auf einem Sandplatz spielen, wird gelästert: „Im Sand? Da spielen doch nur Kinder.“
Oft sind es Millimeter, die über Sieg oder Niederlage entscheiden. Und dann soll es nicht mal Streit geben? Jürgen Melzer schüttelt den Kopf. Und holt aus einem Boule-Koffer umfangreiches Messwerkzeug heraus: Zunächst kann mit einem Zollstock gemessen werden. Aber auch der schwere, eiserne „Zirkel“ kommt zum Einsatz. Und schließlich gibt es so eine Art „Spezial-Lupe“, die konzentrische Ringe aufweist.
Dass die „Boule-Freunde Priesterath“ ihr Handwerk verstehen, wird an einem der jüngsten Erfolge deutlich: Melzer und Vereins-Chronist Jürgen Wimmer konnten kürzlich bei einem angesehenen Turnier in Niederbronbach (Taunus) den begehrten Wanderpokal mit nach Hause nehmen. Das spricht für viel Turnier-Erfahrung. Und die sammeln die Priesterather bei Turnieren in der näheren Umgebung, aber auch bei Touren zum Beispiel ins Saarland. Außerdem sind sie selbst Ausrichter (Vereins- und Stadtmeisterschaften, Martins-Boule und Boule-Fest).
Den Platz an der Garzweiler Allee hat der Verein (etwa 25 Herren) in Eigenleistung erstellt; das Grundstück stellte die Gemeinde zur Verfügung. Mit der hadern sie allerdings ein wenig: „Die Hecken wurden früher immer vor der Stadtmeisterschaften geschnitten. Jetzt werden sie nicht mehr geschnitten, wenn wir das nicht selbst machen“, so Jürgen Wimmer. Und die „Boule-Freunde“ haben ein Ziel: Sie wünschen sich einen Unterstand mit einem kleinen Häuschen, um ihre Geräte zu lagern. Ein Abziehgerät für den Platz ist ihnen schon gestohlen worden. „Dann könnten wir das ganze Jahr hindurch spielen“, träumen sie.
„Wir freuen uns über Besucher. Gast-Bouler sind immer willkommen“, sind die Herren sich einig. So kommt das „Netzwerk 55+“ regelmäßig. Aber auch Privatpersonen, die das Spiel mal ausprobieren wollen, werden mit Leihkugeln ausgestattet. In der locker-frotzeligen Atmosphäre kann man sich in der Tat wohlfühlen. „Wir haben alle das entsprechende Alter, sind überwiegend Pensionäre. Der einzige, der gearbeitet hat, ist Anfang des Jahres gestorben“, so Melzer. Das sei eine schlimme Sache gewesen, ergänzt ein anderer. Und öffnet seinen Boule-Koffer, in dessen Deckel zwei Zeitungsausschnitte kleben: Der eine stammt aus dem Erft-Kurier und zeigt den Vereinskameraden strahlend, als er einmal mit dem „Blumengruß“ bedacht wurde. Daneben klebt die Todesanzeige. Aber so ist der verstorbene Kollege immer dabei. Und in der Erinnerung bleibt er eh.
Übrigens weist der 1996 gegründete Club der „Boule-Freunde“ – anders als an diesem Nachmittag – ein breites Altersspektrum auf: Der Bogen reiche von fünf, sechs Jahren bis hin zu 80 Jahren. Und damit sind wir wieder beim Anfang: Boule ist Sport, aber mehr noch Lebensart. Kommunikation. Kennenlernen. Und das über alle Grenzen hinweg: Weder Alter noch Stand noch Beruf spielen bei der „Schweinchen-Jagd“ eine Rolle. Da geht es um eine ruhige Hand. Und um jede Menge Spaß.