Bewegend: Fred Steins Erinnerungen an Grevenbroichs schlimmste Nacht
Grevenbroich · Der Mitte September 92 Jahre alt gewordene Fred (früher Fritz) Stern lebt heute in den USA an der kalifornischen Westküste. Er ist jüdischer Emigrant aus Grevenbroich. Und er ist wohl unser einziger noch lebender jüdischer Zeitzeuge aus der Zeit des Nationalsozialismus, der den Novemberpogrom des „9.
Novembers 1938“, die sogenannte „Reichskristallnacht“, selber erlebt hat!
Fred Stern kam 2009 mit Hilfe der Bundes-Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, dem Förderverein des Erasmus-Gymnasiums und dem „Arbeitskreis Judentum“ im Geschichtsverein um Ulrich Herlitz für eine Woche zu Besuch nach Grevenbroich. In den weiterführenden Schulen erzählte er über seine Familienbiografie. Auf dem Programm stand seinerzeit auch eine Musikstunde mit Stefan Krüger, Lehrer am Pascal-Gymnasium. Seitdem ist fester Bestandteil des alljährlichen „Menorah“-Abends, der zur Erinnerung an den Novemberprogrom als musikalische Gedenkveranstaltung organisiert wurde, auch ein Gruß von Fred Stern. Heuer wurde am Menorah-Abend am vergangenen Donnerstag Sterns Erinnerungen an die so genannte „Reichskristallnacht“ verlesen. So erinnerte er sich, wie er sich als junger Lehrling – in Vorbereitung seiner Emigration und wegen fortwährender Verunglimpfung als jüdischer Schüler hatte er das Grevenbroicher Pro-Gymnasium (Vorläufer des Erasmus-Gymnasiums) verlassen – auf den Weg nach Düsseldorf nach „Braunschweiger & Cie“ machte.
Fred musste erkennen, dass dieser 10. November 1938 kein normaler Tag war. Mehrere Grevenbroicher jüdische Geschäfte waren geplündert, vor der Synagoge lag die Tora-Rolle geschändet auf der Kölner-Straße. Der 15-jährige Junge war bestürzt, im Wissen um die Unversehrtheit seiner Familie fuhr er jedoch pflichtbewusst mit der Bahn zur Arbeit. In Düsseldorf erfuhr er, dass die Übergriffe keine „lokale Aktion“ war – Fritz erlebte, wie Gegenstände von der SA aus dem vierten Stock eines Hauses geworfen wurde.
Bei der Arbeit angekommen folgte Fritz dem Rat seines Chefs, wieder zur Familie zurückzufahren. Dort angekommen, fand er nur seine Mutter, Großmutter und seine Großtante weinend vor. Sein Vater, Großvater Lazarus und sein mit im Haushalt lebender Onkel Ludwig waren verhaftet worden. Aus Angst, dass auch ihm eine Verhaftung drohe, musste Fritz sich für den Rest des Tages und die Nacht im Getreidelager verstecken. Er wurde zwar nicht verhaftet, seine Angehörigen kamen jedoch in das KZ Dachau und kehrten erst nach Wochen wieder. Als letzter nach vier Wochen sein Onkel Ludwig, völlig verstört und abgemagert. Nicht einmal seiner Mutter konnte er von den Ereignissen erzählen… „Die Kristallnacht war ein Alptraum, in der Juden Leben und Eigentum verloren“, so Fred Stern abschließend.
Ulrich Herlitz weiß, wie die Geschichte der Goldsteins endete. Fritz Sterns Großeltern Lazarus und Julie Goldstein und die Großtante Hedwig Goldstein blieben in Grevenbroich. „Einen alten Baum verpflanzt man nicht...“, pflegte Großvater Lazarus zu sagen. Onkel Ludwig hatte sich im Mai 1939 sogar in Palästina das Leben genommen, weil er mit der Situation nicht zurecht kam. So vertrauten die Goldstein darauf, dass trotz Demütigung, Erniedrigung und Entrechtung wenigstens ihr Leben verschont blieb. Doch diese Hoffnung trog. Die Goldsteins wurden als letzte Grevenbroicher Juden im Sommer 1942 nach Theresienstadt deportiert und wenige Monate später in Treblinka ermordet.
Herlitz hält am 9. Dezember ab 20 Uhr in der „Villa Erckens“ einen Vortrag zur jüdischen Geschichte in Grevenbroich.