Jüdische Namen auf den Ehrenmalen: Helden des ersten Weltkrieges im KZ
Grevenbroich · In diesen Tagen erinnern wir zum 100. Jahrestag an den Ausbruchs des ersten Weltkrieges. Was die wenigsten wissen: Grevenbroicher, die als deutsche Juden für ihr Vaterland 1914 bis 1918 gefallen sind, sind auch auf den Kriegerdenkmälern zum Beispiel in Frimmerdsdorf, Gustorf-Gindorf und Grevenbroich verzeichnet.
Denn am 1. August 1914 kannte Kaiser Wilhelm „keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr, nur noch deutsche Brüder“. So griffen die deutschen Juden für ihr Vaterland zu den Waffen.
Auch in Grevenbroich wurde in der Synagoge Anfang August 1914 ein Bittgottesdienst für Kaiser und Vaterland abgehalten; Liebesgaben für Soldaten wurden von der jüdischen Synagogengemeinde an die im Jahre 1896 vom jüdischen Gemeinde-Repräsentanten Lazarus Goldstein mit gegründete Rote Kreuz gespendet.
Auch der am 8. Juli 1879 in Geseke geborene Julius Stern kämpfte vier Jahre für sein Vaterland Deutschland. Als „stammesstolze Juden“ wollten sie nun unter Beweis stellen, „zu den besten Söhnen des Vaterlandes“ zu gehören, wie es in einem Aufruf des Reichsvereins der deutschen Juden und der „Zionistischen Vereinigung“ hieß.
Über 100.000 deutsche Juden, davon 10.000 Freiwillige, kämpften für Deutschland! Über 12.000 sollten bis zum Kriegsende für ihr Vaterland fallen.
Als nach der anfänglichen Kriegsbegeisterung der Augusttage 1914 bald klar wurde, dass es keinen schnellen Sieg für die Deutschen gab und die Fronten sich in endlosen Stellungskriegen festfraßen, wurden jedoch schnell wieder antisemitische Stimmen laut.
Höhepunkt einer solchen Hetze war eine entsprechende Judenzählung zum 1. November 1916. Spätestens dies war dann der Bruch des von Kaiser Wilhelms ausgerufenen Burgfriedens …
Walter Rathenau, der in der Weimarer Republik 1922 als Außenminister von Rechtsradikalen ermordet werden sollte, formulierte es 1916 so: „Je mehr Juden in diesem Kriege fallen, desto nachhaltiger werden ihre Gegner beweisen, dass sie alle hinter der Front gesessen haben.“
Doch die Ergebnisse der sogenannten „Judenzählung“ wurden nie veröffentlicht, hätten sie doch auch eindeutig bewiesen, dass in Wirklichkeit jüdische Frontkämpfer und Gefallene keineswegs eine Ausnahme waren.
Männer wie Julius Stern bewiesen dies: Unzählige Fronteinsätze, stets ein testiertes „sehr gutes“, „vorzügliches“ Verhalten und die Verleihung des Eisernen Kreuzes („EK II“) im Mai 1917 charakterisieren seine militärische Vita.
Im April 1918 heiratete Julius Stern Martha Goldstein, Tochter des seit Generationen in Grevenbroich ansässigen Landesproduktenhändlers Lazarus Goldstein und seiner Gattin Julie geb. Cahen von der Lindenstraße.
Julius Stern wurde nach dem Krieg als Teilhaber hier heimisch; sein Schwiegervater Lazarus Goldstein trat nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches und dem Neuanfang der Weimarer Republik in seiner Heimatstadt Grevenbroich als Kandidat der Deutschen Volkspartei bei den Kommunalwahlen 1919 an.
Für die Juden war die Bilanz zum Ende des Krieges ernüchternd: Ihr Vaterland dankte ihnen ihren Einsatz nicht. Ihr Einsatz als Frontkämpfer, ja selbst die über 12.000 Gefallenen hielten antisemitische Diffamierungen nicht auf.
Unter den Gefallenen befanden sich auch mehrere Grevenbroicher: Norbert Winter (gefallen 4. März 1916), Otto Hertz (gefallen 6. September 1916), Max Stiebel (gefallen 16. November), Siegmund Baum (gefallen 28. April 1918) sowie Samuel Lion (gefallen 22. Oktober 1918). Doch bereits in der Weimarer Republik, kurz nach dem Versailler Friedensvertrag, bildete sich 1919 der „Reichsbund jüdischer Frontkämpfer“, um auch antisemitischen Unterstellungen im Rahmen der so genannten „Dolchstoßlegende“ zu begegnen.
Ihm gehörte bald jeder zweite frühere deutsche Kriegsteilnehmer jüdischen Glaubens an und mit ihrem Publikationsorgan „Der Schild“ besaß der Verband ein öffentlichkeitswirksames Mittel, um für die Würde und Anerkennung jüdischer Soldaten zu kämpfen.
Auch gegenüber jüdischen Frontkämpfern des ersten Weltkrieges kannte das nationalsozialistische Deutschland letztlich keine Gnade, auch wenn sie zunächst von einigen antisemitischen Verfolgungsmaßnahmen verschont blieben – auch eine perfide Methode, Gegner der Judenverfolgung ebenso wie deutsche Juden zu täuschen.
Der Reichsbund kämpfte noch bis nach der Machtergreifung für eine Anerkennung seiner Mitglieder. Doch mit dem neuen nationalsozialistischen Wehrgesetz und den Nürnberger Rassegesetzen in den Jahren 1934/35, die Juden aus der deutschen Gesellschaft endgültig ausgrenzten, wechselte er seine Strategie und empfahl fortan die Auswanderung aus Deutschland.
Göbbels wagte es 1935 nicht, die Namen jüdischer Gefallener von den Denkmälern entfernen zu lassen, so dass sie auch heute noch beispielsweise zum Volkstrauertag an den Einsatz deutscher Juden, für den sie mit ihrem Leben bezahlten, erinnern. Allerdings wurden auf allen in der NS-Zeit neu errichteten Denkmälern die Namen jüdischer Gefallener unterschlagen.
Julius Stern konnte mit seiner Ehefrau und seinen beiden Söhnen Walter und Fritz rechtzeitig emigrieren, nachdem er in der „Kristallnacht“ des 9. Novembers 1938 verhaftet und als ehemaliger Frontkämpfer und dank nachgewiesener Emigrationspläne aus der Haft entlassen wurde.
Der November-Pogrom bedeutete auch das endgültige Aus für den „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“.
Trotz antisemitischer Verfolgung, Entrechtung und Enteignung wollte Julius Schwiegervater Lazarus Goldstein jedenfalls nicht glauben, dass man ihm nach seinem Leben trachtete. Und: „Einen alten Baum verpflanzt man nicht!“, so sein Kommentar zum Versuch, ihn ebenfalls zur Emigration zu bewegen.
Sein Glaube in sein Vaterland, für das sein Sohn gekämpft, trog in mörderischer Weise. Lazarus Goldstein wurde mit seiner Ehefrau und seiner Schwester noch im hohen Alter im Juli 1942 zunächst nach Theresienstadt deportiert, um dann im Vernichtungslager Treblinka ermordet zu werden.
Noch heute lebt Fred (früher Fritz) Stern, der die Fotos und Dokumente zu seinem Vater Julius Stern zur Verfügung gestellt hat, mit 91 Jahren in den USA. An seine Großeltern, die Großtante und seinen Onkel Ludwig, der als Emigrant nach Palästina dort alleine nicht zurechtkam und sich aus Kummer das Leben nahm, erinnern vor dem ehemaligen „Haus Goldstein“ an der Lindenstraße 27 Stolpersteine von Gunter Demnig.
Ulrich Herlitz